Erziehung und Unterricht 2018/3+4

Graß, Raum und Zahl – Zusammenhänge zwischen Raumvorstellung und Arithmetik 331 Erziehung und Unterricht • März/April 3-4|2018 Arithmetische Fakten sind Rechnungen mit einstelligen Operanden, die aus dem Lang- zeitgedächtnis abgerufen werden und keine Rechenprozesse erfordern (z.B. Einmaleins). Die Organisation passiert dabei über assoziative Netzwerke ( Ashcraft 1995), d.h. ein arith- metisches Problem (z.B. 2 x 6) wird durch wiederholtes Üben mit der entsprechenden Ant- wort (12) assoziiert. Prozedurales Wissen ist das Wissen um die Ausführung von schriftli- chen Rechenalgorithmen bzw. um die Abfolge der Lösungsschritte bei mehrstufigen Rech- nungen ( Landerl & Kaufmann 2013). Beim Lösen komplexer, mehrstelliger Rechnungen sind jedoch zusätzlich ein intaktes Faktenwissen sowie gute Arbeitsgedächtnisleistungen erfor- derlich. Letztere sind insbesondere beim Kopfrechnen relevant und stellen zudem eine weitere Assoziation zwischen Rechenfertigkeiten und Raumvorstellung dar (Details s. u.). Soll der Inhalt des Speichers nicht nur wiedergegeben, sondern auch bearbeitet werden, wie dies beim Kopfrechnen der Fall ist, spielt die zentrale Exekutive eine wesentliche Rolle: In diesem Teil des Arbeitsspeichers wird die Bearbeitung durchgeführt und überwacht ( Tronsky 2005). Zudem gibt es empirische Evidenz für einen Zusammenhang des Arbeits- gedächtnisses mit dem Faktenabruf. So gilt ein defizitäres verbal-phonologisches Arbeits- gedächtnis als plausible Erklärung für Probleme im arithmetischen Faktenabruf ( Kaufmann et al. 2004). Konzeptuelles arithmetisches Wissen oder auch arithmetisches Verständnis ist schließlich für die flexible und adaptive Anwendung numerisch-rechnerischer Leistungen unumgänglich ( Sokol et al. 1991). Anzumerken ist, dass sowohl das arithmetische Fakten- wissen als auch das prozedurale Wissen ohne zugrundeliegendes Verständnis rein sche- matisch angewendet werden können. Mangelndes konzeptuelles Wissen äußert sich bei- spielsweise darin, dass zwar richtige Prozeduren angewandt werden, das Ergebnis jedoch um einige Kommastellen von der korrekten Lösung abweicht ( Sokol et al. 1991). Zusammenfassend halten wir fest, dass durch den mentalen Zahlenstrahl eine domä- nenspezifische Verbindung zwischen Raum und Zahl angenommen werden darf. Durch das Arbeitsgedächtnis besteht eine zusätzliche, domänenübergreifende Konnexität zwischen Rechenfertigkeiten und Raumvorstellung. Diese Zusammenhänge werden in den nächsten Abschnitten detailliert dargestellt. Räumliche Zahlenrepräsentation – der mentale Zahlenstrahl Dieser Abschnitt referiert über die behaviorale Evidenz eines domänenspezifischen Zu- sammenhangs zwischen Raum und Zahl. Dieser Zusammenhang ergibt sich über eine räumlich-quantitative Repräsentationsform – dem mentalen Zahlenstrahl ( Dehaene et al. 1993; Kahneman et al. 1992; Siegler & Opfer 2003, Link et al. 2014). Hinsichtlich dessen zei- gen die Kognitions- und Neuropsychologie, dass Zahlen einer räumlichen Repräsentation unterliegen ( Lorenz 2017; Lindemann & Fischer 2015; Roggeman et al. 2015; van Dijck et al. 2015; Fischer & Fias 2005). Dieser Erklärungsansatz stellt einen direkten, universellen und kausalen Zusammenhang zwischen Raumvorstellung und der Verarbeitung von Zahlen her. Kulturelle Unterschiede gibt es lediglich in der Ausgestaltung ( Nuerk et al. 2005; Göbel et al. 2011; Reinert et al. 2015a, 2015b). Die räumliche Anordnung längs einer Linie basiert auf zwei mehrmals replizierten Be- funden zur Zahlenverarbeitung, dem „Distanzeffekt“ und dem „SNARC- Effekt“ (spatial nu- merical association of response codes). Der Distanzeffekt besagt, dass die Reaktionszeit beim Zahlenvergleich (zwei Zahlen werden simultan präsentiert, geantwortet wird auf die numerisch größere) deutlich kürzer ist, wenn die numerische Distanz der beiden Zahlen größer ist. Es gelingt also schneller 2 von 8 zu unterscheiden als 2 von 3. Zudem gehen Dehaene et al. (1990) von einer logarith-

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