Erziehung und Unterricht 2018/3+4

Graß, Raum und Zahl – Zusammenhänge zwischen Raumvorstellung und Arithmetik 329 Erziehung und Unterricht • März/April 3-4|2018 Karl-Heinz Graß Raum und Zahl – Zusammenhänge zwischen Raumvorstellung und Arithmetik Summary: Was hat Raumvorstellung mit Arithmetik zu tun? Dieser, für den Mathema- tikunterricht der Grundschule nicht irrelevanten Frage wird im folgenden Beitrag nach- gegangen. Bei der Verarbeitung von Zahlen, aber auch beim späteren Rechnen, gibt es direkte und indirekte Verbindungen zur Raumvorstellung. Als Beispiele seien der mentale Zahlenstrahl sowie der visuell-räumliche Arbeitsspeicher genannt. Im Artikel werden aktuelle Forschungsergebnisse der Neuro- und Kognitionspsychologie sowie der Fachdi- daktik herausgestellt und für die Praxis aufbereitet. Abschließend wird die Relevanz eines Raumvorstellungstrainings im Geometrieunterricht für den Erwerb arithmetischer Kom- petenzen diskutiert. Einleitung Wie denken Menschen Zahlen, in welcher Modalität werden sie repräsentiert und wie wird damit operiert? Diese – für den Unterricht der (Grund-)schule – zentralen Fragestellungen werden im folgenden Beitrag thematisiert und nach dem derzeitigen Forschungsstand be- antwortet. Zahlen sind keine abstrakten Symbole, wir repräsentieren Zahlen auf einem (in unserem Kulturkreis von links nach rechts orientierten) Zahlenstrahl ( Fias & Fischer 2005; Hubbard et al. 2005; Zorzi et al. 2002). Bei diesem wohluntersuchten und mittlerweile mehrfach repli- zierten sogenannten „mentalen Zahlenstrahl“ handelt es sich um eine implizite, domänen- spezifische Verbindung zwischen Raum und Menge ( Dehaene 1999; Ansari 2008; Cohen Ka- dosh & Walsh 2009; Feigenson, Dehaene & Spelke 2004). Zusätzliche Evidenz für eine derartige Assoziation zwischen Zahl und Raum kommt von Seiten der Neurowissenschaften. Durch bildgebende Verfahren wurden Areale im Parie- tallappen identifiziert, die einerseits für die Zahlenverarbeitung und das Rechnen zustän- dig sind, andererseits jedoch auch für nichtnumerische Funktionen wie räumliche Fähigkei- ten, Aufmerksamkeit und Zeit (vgl. Cantlon, Platt & Brannon 2009; Kohen Cadosh, Lammer- tyn & Izard 2008; Hubbard et al. 2005; Walsh 2003). Dies suggeriert, dass numerische und räumliche Fähigkeiten gemeinsamen neuronalen Netzwerken zugrunde liegen und dadurch über die Natur ihrer Repräsentationen und deren evolutionären Ursprung zusam- menhängen. Größenrepräsentationen im Parietallappen umfassen demnach numerische Größen (z.B. 3, 5, 8) gleichsam wie physische Größen (z.B. x x x ) ( Walsh 2003). Eine dritte, domänenübergreifende Verbindung zwischen visuell-räumlicher Kognition und arithmetischer Leistung ergibt sich über den visuell-räumlichen Arbeitsspeicher (z.B. Logie et al. 1994; Tronsky 2005). Zudem wird vermutet, dass es Zusammenhänge zwischen dem visuell-räumlichen Arbeitsspeicher und der Repräsentation von Zahlen am mentalen Zahlenstrahl gibt ( Rotzer et al. 2009).

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