Erziehung und Unterricht 2018/3+4

Varelija-Gerber, Überlegungen zum Entdeckenden Lernen im Mathematikunterricht der Primarstufe 317 Erziehung und Unterricht • März/April 3-4|2018 renden wissen durch ihr Tun, durch ihr Lehren, den Wissendrang der Schülerinnen und Schüler zu wecken, indem Aufgabenstellungen gewählt bzw. angeboten werden, die dem Wissen der Schülerinnen und Schüler entsprechen. Durch wohl überlegte Fragestellungen und Problemstellungen ermöglicht die Lehrerin/der Lehrer das selbstständige Lösen der Aufgaben. Vom methodischen Aspekt betrachtet lösen die Schülerinnen und Schüler im entdeckenden Unterricht Aufgaben- und Problemstellungen sowohl in Einzelarbeit als auch in Partner- bzw. in Gruppenarbeit (Ich-Du-Wir-Prinzip). Dabei wird die Team- und Ko- operationsfähigkeit geschult. Der Lehrperson bietet eine solche Umgebung Gelegenheit, die Kinder in ihrem Aktionsfeld zu beobachten. Unter Entdeckendem Lernen kann ein Kon- zept von Unterricht verstanden werden, welches Intentionen der Reformpädagogik auf- nimmt und umsetzen will. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist es vor allem Je- rome Bruner , der diesen Ideen Beachtung schenkt und didaktische Überlegungen dazu äu- ßert. Bei David Kollosche findet man dazu folgende Erläuterung: „Indem es sich gegen das von Bruner gegenübergestellte Expositionslernen, bei dem Schüler neuem Wissen in Form von Lehrervorträgen, Lehrtexten et etcetera passiv ausgesetzt werden, und für ein schüler- aktives Lernen positioniert, verkörpert das Entdeckende Lernen das gemeinsame Bestre- ben von Lehrern, Didaktikern und Psychologen, Lernprozesse vorrangig auf der Grundlage der intellektuellen Eigenaktivität der Lernenden zu initiieren.“ ( Kollosche 2017, S. 211) Der deutsche Mathematikdidaktiker Heinrich Winter war gleichsam prägend für den Begriff des Entdeckenden Lernens im Mathematikunterricht und stellte zum Thema fest: „Das Ler- nen von Mathematik ist umso wirkungsvoller […], je mehr es im Sinne eigener aktiver Er- fahrungen betrieben wird, je mehr der Fortschritt im Wissen, Können und Urteilen des Ler- nenden auf selbständigen entdeckerischen Unternehmungen beruht.“ ( Winter 1989, S. 1) Lehrerinnen und Lehrer wollen es ihren Schülerinnen und Schülern ermöglichen, ihr vor- handenes Wissen weiter zu entwickeln und durch das Entdecken vieler Zusammenhänge und Vorgänge in die Tiefen des Inhalts und somit zum tatsächlichen Verstehen zu bringen. Kinder sollen und müssen schnelles Rechnen beherrschen, um später komplexe Rechen- operationen durchführen zu können. Diese Rechenfertigkeiten sollten nicht zuerst durch Auswendiglernen erlangt werden, sondern sollten auf das tiefgehende Wissen um Zahlbe- ziehungen und möglichen Denk- und Lösungswegen aufbauen. Dieser Prozess des Wis- senserwerbs führt dazu, dass Fertigkeiten erworben, strukturiert und gesetzmäßig geübt werden. Wenn sich Schülerinnen und Schüler in selbstständiger Erarbeitung von mathe- matischen Inhalten bewegen, bedeutet dies ein permanentes Reflektieren von und Sich- Erinnern an vorhandenes Wissen. Dies kann auch zur Folge haben, dass Wissen neu struk- turiert und neu organisiert werden muss. In jedem Fall findet ein für Lernen und Verstehen unabdingbarer und nicht wegzudenkender Prozess bzw. Vorgang statt, nämlich eine inten- sive und sinnerfüllte Phase des Übens (vgl. Winter 1998, S. 2). Zur Realisierung des Entdeckenden Lernens im Unterricht Entdeckendes Lernen ist in erster Linie möglich und realisierbar, wenn der Unterricht „of- fen“ strukturiert wird und im Rahmen dieser Öffnung Schülerinnen und Schüler die Mög- lichkeit haben, sich entdeckend mathematischen Problemstellungen und möglichen Lö- sungswegen zu widmen (vgl. Gerber & Varelija 2010, S. 224). Öffnen will in diesem Fall ver- standen werden als ein Planen von der Sache aus, innerhalb dessen sich am fachlichen In- halt orientiert Entdeckungen ergeben. Um Entdeckendes Lernen in Form eines Prozesses für Schülerinnen und Schüler tatsächlich umsetzbar zu machen, müssen im Unterricht Be- dingungen dazu geschaffen werden, dass sich diese ohne größere Einstiegshindernisse in Aufgaben- und Problemstellungen vertiefen können. Sowohl die sorgfältig ausgewählten

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