Erziehung und Unterricht 2018/3+4

250 Kristan, Stimmungsbilder zu den EU-Integrationsschritten Österreichs in den 1990er-Jahren Erziehung und Unterricht • März/April 3-4|2018 den muss, das heißt die Festigung des Binnenmarktes gesichert werden soll. Darüber hinaus müsse die Wirtschafts- und Währungsunion, sowie die politische Union zu- stande gebracht werden, bevor an eine Erweiterung gedacht werden könne. Von einer Einigung über Wirtschafts- und Währungsunion und über die politische Union, die bis zum Eurogipfel in Maastricht im Dezember unter Dach und Fach sein sollte, ist man zurzeit aber noch weit davon entfernt. Die andere Strömung innerhalb der EG sieht keinen Gegensatz zwischen dem Vorantreiben der Integration und einer Erweiterung um beitrittsreife Kandidaten, zu denen auch Österreich gezählt wird. Österreich, so wurde zu verstehen gegeben, kann noch vor der Sommerpause, also voraussichtlich am kommenden Mittwoch mit der Erteilung des Avis, der offiziellen Antwort der Gemeinschaft, auf das österreichische Beitrittsansuchen rechnen. Im Avis, dessen endgültige Version erst nach der Erweiterungsdebatte der Kommission feststehen wird, soll vor allem der wirtschaft- liche Stellenwert Österreichs beurteilt werden. Und was die Konkurrenzfähigkeit und die Entwicklung der österreichischen Wirtschaft betrifft, so zeigen alle Stellungnahmen der letzten Tage, dürfte der Bescheid der EG überwiegend positiv ausfallen. Auch die österreichische Neutralität wird dem Vernehmen nach im Avis erwähnt werden, ohne dass es bis heute klar ist, wie diese Stellungnahme ausfallen wird, denn dazu scheint der Meinungsbildungsprozess innerhalb der Europäischen Gemeinschaft noch nicht abgeschlossen zu sein. Die politische Rolle Österreichs nach dem Fall des Eisernen Vorhangs und der grundsätzlichen Umgestaltung Osteuropas, wird von Brüssel jedenfalls positiv beurteilt. Gerade bei der Einbeziehung der neuen Demokratien Mittel- und Osteuropas in den europäischen Integrationsprozess, so meint man hier, könnte Österreich eine besondere Rolle zukommen.“ ORF-Mittagsjournal, 24.7.1991, Österreichische Mediathek, jm-910724 (Ausschnitt) ÖVP-Außenminister Alois Mock antwortete ein Monat nach der Stellungnahme der Kom- mission, in der auch Schwierigkeiten und Anforderungen in Bezug auf die Neutralität Ös- terreichs aufgezeigt wurden, in einem Interview auf die Frage, ob man nun die Neutralität neu definieren oder sogar abschaffen müsse: „Ich sehe dafür keinen Anlass, denn es ist erstens einmal ja völlig klar, dass wir nicht wo beitreten können, um dann die Entwicklungen der Institution zu verhindern. Zwei- tens ist hier die Rede von der Vereinbarkeit der Neutralität mit den Verträgen. Die ist voll gegeben. Drittens ist die Rede von der Vereinbarkeit der Neutralität mit den neuen Entwicklungsmöglichkeiten, die sich auf den Regierungskonferenzen ergeben, vor al- lem im Bereich der Außenpolitik und der Sicherheitspolitik und da hab ich glaub ich zum letzten Mal am 17. Juli gesagt, soweit das absehbar ist, bisher auch in seiner Ma- ximalversion, ist die Neutralität, die ja in ihrem Kern verlangt, dass Österreich keiner militärischen Allianz beitritt und keine fremden militärischen Stützpunkte hier erlaubt, durchaus auch vereinbar. (…)“ ORF-Mittagsjournal, 1.8.1991, Österreichische Mediathek, jm-910801 (Ausschnitt) Die Beitrittsverhandlungen starten Am 1. Februar 1993 starteten schließlich die Beitrittsverhandlungen. Die Stimmung in der Bevölkerung im Hinblick auf einen möglichen EG-Beitritt war von unterschiedlichsten An- sichten und zum Teil von Sorgen, aber auch Hoffnungen, geprägt wie die folgenden Zitate aus einer anonymen Straßenbefragung auf die Frage, worauf das Verhandlungsteam am meisten achten soll, verdeutlichen:

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