Erziehung und Unterricht 2018/3+4
Wirth, AktivistInnen für Reformen, Umweltschutz und Frieden 247 Erziehung und Unterricht • März/April 3-4|2018 tionen nahmen am 15. Mai 1982 und 22. Oktober 1983 in Wien über 70.000 AktivistInnen teil. Daneben brachte die Friedensbewegung ihr Engagement aber auch mit Konzerten, einer „Friedensradtour“, „Fasten für den Frieden“, einer gesamtösterreichischen Friedenskonfe- renz im Dezember 1982, und einer gesamtösterreichischen Friedenswoche im Mai 1983 zum Ausdruck. Getragen wurde die österreichische Friedensbewegung von einer Vielzahl Gruppierungen, wobei v. a. Jugendgruppen (so etwa der Parteien oder der Gewerkschaften), kirchliche Gruppierungen und viele kleine, regionale Initiativen eine wichtige Rolle spielten. Für wie- derholtes Konfliktpotential sorgte dabei die Uneinigkeit zwischen den links orientierten Gruppen und den konservativen und unabhängigen Teilen der Bewegung über die Solida- risierung mit den unabhängigen Friedensbewegungen in Osteuropa. Aber auch die einsei- tige Verurteilung der amerikanischen Aufrüstung durch die linken Gruppierungen und de- ren fehlende Kritik der Sowjetunion wurde zum Streitpunkt zwischen den Gruppierungen und führte schlussendlich dazu, dass ein gemeinsamer Koordinationsausschuss der Frie- densbewegung nur kurzzeitig bestand. Ein eigenständiges Profil konnte die österreichische Friedensbewegung mit den ge- nannten Forderungen nur in Ansätzen entwickeln, zumal hier zwei wichtige Forderungen der internationalen Friedensbewegung bereits erfüllt waren: jene nach Neutralität und Atomwaffenfreiheit. Zudem hatte es sich Österreich als seit 1955 neutraler Staat bereits seit längerem zur Aufgabe gemacht, als Treffpunkt für die Konfliktparteien zu fungieren. 1979 war Wien mit der Fertigstellung des Vienna International Center nach New York und Genf sogar zum dritten Amtssitz der Vereinten Nationen (UNO) geworden. Ein Spezifikum zeigte sich jedoch darin, dass die hiesige Friedensbewegung auch gegen Waffenexporte in Länder der „Dritten Welt“ protestierte und damit nicht nur ein neues Thema in die öffentliche Debatte einbrachte, sondern auch Panzerlieferungen nach Chile verhindern konnte. Die österreichische Friedensbewegung war damit eng mit der Dritte- Welt-Bewegung verbunden, deren Engagement für Asien, Lateinamerika und Afrika sich in neuen Formen entwicklungspolitischer Arbeit und Solidaritätskomitees niederschlug. Schluss Wie die obigen Ausführungen zeigen, ist es den Neuen sozialen Bewegungen in Österreich bereits in den 1960er, 1970er und 1980er Jahren gelungen, politische Entscheidungen zu beeinflussen. Von langfristiger Bedeutung sind sie v. a. deshalb, weil sie die Ausbildung ei- ner postmodernen Vielfalt beschleunigt und das politische System auch strukturell mitge- prägt haben. So haben sie nicht nur zu einer weiteren Erosion der Großparteien und zur Formierung grüner Parteien beigetragen, denen 1986 mit dem Bündnis „Die Grüne Alterna- tive – Liste Freda Meissner-Blau“ der Einzug in den Nationalrat gelang. Sie haben auch zu einem qualitativ neuen Demokratieverständnis, dem Ausbau von direktdemokratischen In- strumenten (wie der Volksbefragung auf Bundesebene 1989) und einer verstärkten Beteili- gung von BürgerInnen an Verwaltungsentscheidungen beigetragen. Gleichfalls sind sie auch zu einer wichtigen Voraussetzung für das zivilgesellschaftliche Engagement späterer Jahre – vom „Lichtermeer“ gegen Ausländerhass und Fremdenfeindlichkeit 1993 bis zu den „Uni Brennt“-Aktionen 2009/2010 – geworden. ANMERKUNGEN 1 Unter der Ersten Frauenbewegung werden jene Frauenrechtlerinnen und Frauengruppen subsumiert, die sich in der zweiten Hälfte des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts bildeten, um für die Gleichberechtigung der Frau
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