Erziehung und Unterricht 2018/3+4
Wirth, AktivistInnen für Reformen, Umweltschutz und Frieden 243 Erziehung und Unterricht • März/April 3-4|2018 wurden daher die Schülerfreifahrt in öffentlichen Verkehrsmitteln, die Ausgabe von kos- tenlosen Schulbüchern, die Abschaffung der Aufnahmeprüfungen für Allgemein Bildende Höhere Schulen und die Beseitigung der Hochschulstudiengebühren beschlossen. Die Neue Frauenbewegung Eine weitere wichtige Schlüsselrolle in der Reformpolitik der Ära Kreisky nahm der Rechts- bereich ein, in dem mit der Neuen oder Zweiten Frauenbewegung eine weitere Neue sozi- ale Bewegung eine zentrale Rolle spielte. 1 Ausgangspunkt der Rechtsreform war ein veraltetes Familien- und Strafrecht, das in seinem Kern aus dem frühen 19. Jahrhundert stammte. Durch eine Reform, die bereits seit längerer Zeit in Diskussion war, aber erst in den 1970er Jahren umgesetzt werden konnte, sollten diese Rechtsmaterien an eine veränderte gesellschaftliche Wirklichkeit angepasst werden und zugleich Motor für die gesellschaftliche Weiterentwicklung in Richtung einer Liberalisierung und mehr Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern sein. Im Zuge einer kleinen Strafrechtsreform wurden daher zunächst 1971 u. a. die Ehestö- rung vollkommen sowie der Ehebruch weitgehend entkriminalisiert und das Totalverbot der Homosexualität aufgehoben. Damit war die Homosexualität bei Frauen nun komplett und bei Männern unter Erwachsenen straffrei und jener Freiraum gegeben, der ab Mitte des Jahrzehnts zur Bildung erster Lesben- und Schwulengruppierungen führte. Gegen noch bestehende Diskriminierungen bzw. 1971 neu eingeführte Tatbestände (wie die „Werbung für Unzucht mit Personen des gleichen Geschlechts” oder die „gleichgeschlechtliche Un- zucht mit Personen unter 18 Jahren”) zu kämpfen, war seither ein wichtiges Ziel dieser Gruppen. In der weiteren Strafrechtsreform der 1970er Jahre wurde die Frage des Schwanger- schaftsabbruchs zum Konfliktthema Nummer eins, an dem sich nicht nur die politischen Parteien und die Kirchen schieden. Die Reform des Schwangerschaftsabbruchs wurde auch zum konstitutiven Element einer neuen Frauenbewegung. Maßgeblich war hierfür, dass der ursprüngliche Strafrechtsentwurf lediglich eine Indikationenlösung, d. h. die Straffrei- stellung des Schwangerschaftsabbruchs bei bestimmten ethischen, eugenischen und sozi- alen Voraussetzungen vorsah, was zunächst vor allem den jungen Frauen in der SPÖ zu wenig war. Sie forderten eine stärkere Liberalisierung bzw. die Freigabe des Schwanger- schaftsabbruchs zumindest in einer bestimmten Frist und bildeten gemeinsam mit weite- ren Frauenrechtlerinnen die „Aktionsgemeinschaft zur Abschaffung des § 144“, der damals den Schwangerschaftsabbruch mit bis zu fünf Jahren Haft bedrohte. Dabei wiesen sie mit Aktionen wie einem Marsch durch die Wiener Mariahilfer Straße, bei dem die Künstlerin Erika Mis als Häftling verkleidet nach und nach das Gefängnis, in dem sich befand, zer- schlug, auf die Fremdbestimmung der Frau hin und forderten das Selbstbestimmungsrecht über den eigenen Bauch. Im November 1972 spalteten sich dann jene Frauen ab, die los- gelöst von den Parteien und damit provokanter und kompromissloser in Erscheinung tre- ten wollten, und bildeten die „Aktion unabhängiger Frauen“ (AUF). Damit hatte die im Entstehen befindende Neue Frauenbewegung, die in den folgenden Jahren zur Bildung einer eigenen Subkultur mit Frauenfesten, Frauencafés, Frauenbuch- handlungen und vielem mehr führte, einen wichtigen Akteur entwickelt. Das zentrale An- liegen der neuen Bewegung war es zu verdeutlichen, dass auch das Private politisch ist, und aufzuzeigen, dass Ungleichheiten zwischen Mann und Frau Ausdruck eines alle Berei- che des Lebens (Familie, Beruf, Sexualität) umfassenden Herrschaftssystems sind. Der Zu- griff auf den weiblichen Körper wurde als wesentlicher Teil der Frauenunterdrückung ge- sehen. Geschlechterspezifische Diskriminierungen aufzuzeigen und für mehr Demokratie
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