Erziehung und Unterricht 2018/3+4
242 Wirth, AktivistInnen für Reformen, Umweltschutz und Frieden Erziehung und Unterricht • März/April 3-4|2018 meinsamkeit nicht nur, dass es sich um neue, zweckgebundene und zielorientierte Zu- sammenschlüsse von Personen handelte, die außerhalb traditioneller Formen der Interes- senorganisation und -vertretung (Parteien oder Verbände) bzw. über diese hinweg ent- standen ist. Charakteristisch ist für sie auch, dass sie sich durch neue Protestformen, oft durch eine Inbesitznahme des öffentlichen Raumes, auszeichneten und dass sich ihre An- gehörigen zumeist aus VertreterInnen der Nachkriegsgeneration und der neuen Mittel- schicht zusammensetzten. Homogene, abgeschlossene Gruppen waren die einzelnen Be- wegungen jedoch nicht. Vielmehr setzten sich diese aus unterschiedlichen Gruppen zu- sammen, wobei dies im Fall der Umweltbewegung auch mit unterschiedlichen ideologi- schen Ausrichtungen verbunden sein konnte. Angehörige einer Bewegung wie der Frauen- und Umweltbewegung konnten zudem auch anderen Bewegungen wie der Alternativ- oder Friedensbewegung angehören. Die Studentenbewegung Als Vorläuferin oder erste der Neuen sozialen Bewegungen wird in der Literatur zumeist die internationale Studentenbewegung genannt, die nicht nur eine Demokratisierung der Hochschulen forderte, sondern auch gegen die konservativ-autoritäre Verfasstheit der Nachkriegsgesellschaft und den Vietnam-Krieg protestierte. In Österreich kam es seit Mitte der 1960er Jahre durch studentische Gruppierungen zwar auch zur Ausarbeitung von Konzepten für eine Hochschulreform, die auf mehr Mitbestim- mung abzielten, zu Hörsaalbesetzungen, Demonstrationen und im sozialdemokratischen Bereich auch zu Protestaktionen gegen das Parteiestablishment. Im Vergleich zu anderen Staaten war die hiesige Studentenbewegung jedoch nicht nur von marxistischen, sondern auch von liberalen und katholischen Kräften bestimmt und auch durch künstlerische Akti- onen geprägt. Als Höhepunkt des österreichischen „1968“ wird deshalb häufig die so ge- nannte Uni-Ferkelei im Hörsaal 1 des Neuen Institutsgebäudes in Wien bezeichnet, bei der Künstler (Günter Brus, Otto Mühl, Peter Weibel, Oswald Wiener) durch das Brechen mög- lichst vieler Tabus schockieren wollten. Gleichfalls entwickelte sich die österreichische Stu- dentenbewegung auch nie zu einem Massenphänomen, da sie hier noch relativ stark von den traditionellen parteipolitisch bestimmten Strukturen bestimmt war. Ohne „Ergebnisse“ blieb sie jedoch auch hier nicht, zumal auch die Studentenbewegung in anderen Ländern und deren Radikalität Eindruck auf die hiesige Politik machten. So brachte die Studentenbewegung nicht nur internationale Trends nach Österreich. Es kam an den Hochschulen auch bereits in den späten 1960er Jahren zur Einrichtung erster Mit- bestimmungsmöglichkeiten für die Studierenden durch die Schaffung von Institutionskon- ferenzen und die Errichtung von Studienkommissionen, nachdem im Bundesgesetz über die technischen Studien 1969 erstmals festgeschrieben worden war, dass die Studierenden an der Ausarbeitung der Studienpläne beteiligt werden sollen. Im Universitätsorganisa- tionsgesetz 1975 wurde dann auch eine nach Qualifikation und Funktion abgestufte Mit- bestimmung aller universitären Gruppen (Professoren, akademischer Mittelbau, Studie- rende, Verwaltung) in den Kollegialorganen der Universitäten normiert, womit der Gesetz- geber – wenn auch nicht so weitreichend wie ursprünglich angedacht worden war – auf die Demokratisierungsforderungen der Zeit reagierte. Generell nahm die Schul- und Hochschulpolitik in der Modernisierungsoffensive der SPÖ-Alleinregierung unter Bruno Kreisky eine wichtige Schlüsselrolle ein. Neben dem Fak- tor Mitbestimmung, der sich in der Schule im Schulunterrichtsgesetz 1974 niederschlug, das die Mitsprache von Eltern und SchülerInnen am schulischen Leben einführte, war die Herstellung von Chancengleichheit ein wichtiges Ziel. Bereits zu Beginn der 1970er Jahre
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