Erziehung und Unterricht 2018/3+4
234 Steffek, (Un)ausgesprochen Erziehung und Unterricht • März/April 3-4|2018 an die entsprechenden Stellen weiterzuleiten. Da jedoch längere Zeit keine Rückmeldung erfolgte, wurde das Comité International des Camps selbst aktiv. Hermann Langbein rich- tete als Generalsekretär am 16. Juli 1966 einen Brief an den damaligen Unterrichtsminister, in dem er unter anderem die Intentionen des Comité International des Camps erläuterte und auf den Fall Taras Borodajkewycz Bezug nahm. Er wiederholte das Angebot, Zeitzeu- ginnen und Zeitzeugen für Gespräche mit Schülerinnen und Schülern zu benennen, so „die Hilfe erwünscht“ sei, und bat um Stellungnahme seitens des Ministeriums. 6 In seinem Ant- wortschreiben vom 15. Oktober 1966, das einer klaren Absage gleichkam, verwies der Mi- nister – vorsichtig, aber bestimmt – darauf, dass die Schule nur einen begrenzten Einfluss auf die Erziehung und damit geistige Gesinnung der Gesellschaft habe und regte daher an, dass sich das Comité International des Camps mit seinem Anliegen verstärkt auf österrei- chische Jugendorganisationen, die Organisationen der Erwachsenenbildung, auf welche die österreichische Unterrichtsverwaltung keinen unmittelbaren Einfluss habe, konzentrie- ren solle. 7 Anfang 1972 wurde in Wien der Prozess gegen die Erbauer der Krematorien und Gas- kammern von Auschwitz – Fritz Ertl und Walter Dejaco – geführt, der für beide Angeklagten mit Freispruch durch ein Geschworenengericht endete. Das mediale Interesse war gering, auch fanden sich während der Verhandlungen keine Schulklassen im Gericht ein. Die im österreichischen kollektiven Gedächtnis fest verankerte Opferthese wurde strikt weiterge- tragen, weshalb es unnötig erschien, sich mit der jüngsten Vergangenheit – Nationalsozia- lismus, Holocaust und der österreichischen Beteiligung und Schuld – an Schulen und Uni- versitäten ernsthaft auseinander zu setzen. 8 Diese unterschiedlichen Erfahrungen in Deutschland und Österreich sowie die in Öster- reich massiv hervortretenden neonazistischen und rechtsextremen Tendenzen bestärkten Hermann Langbein in seinen Bemühungen, Tabus aufzubrechen und die Vergangenheit dem Vergessen zu entreißen. Für ihn war es wichtig, die „junge Generation“ aufzuklären, sie zur persönlichen Auseinandersetzung mit Österreichs Vergangenheit, der Vergangen- heit der eigenen Familie anzuregen und sie dabei zu unterstützen, Verantwortung für die Zukunft und das eigene Handeln und eben Nicht-Handeln zu übernehmen. Die Wahrheit über den Nationalsozialismus In den folgenden Jahren konzentrierten sich die Gespräche der Zeitzeuginnen und Zeitzeu- gen vor allem auf die Jugend- und Erwachsenenbildung im außerschulischen Bereich, auf die österreichischen Volkshochschulen oder private Initiativen. Dennoch besuchten einige Zeitzeuginnen und Zeitzeugen, wie Hermann Langbein, verschiedene Schulen in ganz Ös- terreich. Und dass er sich damit auf dem „richtigen Weg“ befand, zeigte sein Besuch der 7. und 8. Klassen des BG und BRG Völkermarkt vom 19. Januar 1976. Begeistert von dem Ge- spräch richteten die Klassen folgenden Bericht an die „Kärntner Tageszeitung“: „Zeitgeschichte im Schulunterricht – VÖLKERMARKT. Die Schüler der 7. und 8. Klassen des Gymnasiums Völkermarkt hatten kürzlich Gelegenheit, mit einem kompetenten Mann über die Ideologie des Nationalsozialismus und ihre konkreten Auswirkungen zu sprechen. Diese Veranstal- tung war gedacht als Ergänzung zum Zeitgeschichteunterricht. Hermann Langbein, der selbst zwei Jahre lang Häftling in Auschwitz war, hielt einen aufschlußreichen und emotionsfreien Vortrag zum Thema ‚Auschwitz und die junge Generation‘. Er schilderte nicht nur die wohlorganisierte Vernichtungsmaschinerie in den Konzentrationslagern des Dritten Reiches, sondern ging im besonderen (sic!) auf die Frage nach Verantwortlichkeit und Schuld ein. Darüber hinaus erörterte er die Frage nach den Möglichkeiten, solche Verbrechen in Zukunft zu vermeiden.
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