Erziehung und Unterricht 2018/3+4
Steffek, (Un)ausgesprochen 233 Erziehung und Unterricht • März/April 3-4|2018 In Seminaren, vor allem aber in Schulen wäre es sehr gut, wenn man künftighin derartige Vorträge so organisieren könnte, dass der Vortrag gemeinsam (für mehrere Klassen und Seminare) durchgeführt wird, die Diskussion dann aber getrennt in kleinerem Kreis. Das hätte den Vorteil, dass mehr Teilnehmer zum Sprechen kommen und dass die Diskussion ungezwungener erfolgen kann. In Schulen, wo bisher eine grössere Anzahl von Klassen zusammengezogen war, würde sich aus einer solchen Arbeitsweise die Notwendigkeit ergeben, die Diskussionen auch am nachfolgen- den Tag erst durchzuführen. Das hätte wiederum den Vorteil, dass der Schüler mit dem Referen- ten erst dann diskutiert, wenn er bereits mit seinen Eltern den Vortrag durchbesprochen hat, also etwaige Argumente aus dem Elternhaus vorgebracht und möglicherweise auch widerlegt werden können. Der Vorteil einer solchen Aufgliederung scheint mir so gross, dass alle Schwierigkeiten, die sich für den Stundenplan ergeben, in Kauf genommen werden können.“ 2 In Österreich herrschten jedoch ganz andere Voraussetzungen. Am 6. September 1960 war durch den Wiener Stadtschulratspräsidenten Maximilian Neugebauer die Ausstellung „Den Toten zum Gedenken – den Lebenden zur Mahnung“, die von Überlebenden des Frauen-KZ Ravensbrück zusammengestellt worden war, eröffnet worden. Diese sollte in einer Reihe Wiener Schulen gezeigt werden, begleitet durch Überlebende der nationalsozialistischen Konzentrationslager, die für Führungen und Diskussionen zur Verfügung standen. Zudem wurde den über 16-Jährigen der Dokumentarfilm „Nacht und Nebel“ gezeigt. Seitens des Wiener Stadtschulrates war per Erlass angeordnet worden, die Schülerinnen und Schüler im Vorfeld auf die Thematik vorzubereiten. Die im Rahmen dieser Aktion eingesetzten Zeitzeuginnen und Zeitzeugen wurden mit einer ganzen Band- breite an Reaktionen konfrontiert. In der Regel hatte keinerlei Vorbereitung stattgefunden, so dass falsche Vorstellungen und erhebliche Wissenslücken offen hervortraten, die es galt durch die Zeitzeuginnen und Zeitzeugen selbst zu schließen. Auch stand eine große Zahl des Lehrkörpers der Aktion passiv bis feindselig gegenüber; sie verließen die Klassen oder deklarierten den Besuch der Ausstellung sowie die Behandlung des Themas als „unangenehme Pflichtübung“. Die Zahl jener, die den Zeitzeuginnen und Zeitzeugen und dem Thema aufgeschlossen gegenüber standen, ihnen „echtes Verständnis und Interesse“ und „hilfreiche Unterstützung“ entgegenbrachten, war im Vergleich dazu gering. 3 Bereits im Jahr 1965 hatte eine internationale Delegation des Comité International des Camps anlässlich des 20. Jahrestages der Befreiung der nationalsozialistischen Konzentra- tionslager von 31. März bis 11. April eine Reise durch Deutschland unternommen, um die Gedenkstätten in Flossenbürg, Bergen-Belsen, Neuengamme, Dachau und Hintzert zu be- suchen. Die 21 Personen zählende Delegation aus Belgien, Deutschland, Großbritannien, Frankreich, Israel, Italien, Luxemburg, den Niederlanden, Norwegen und Österreich 4 nutzte in Bonn, Düsseldorf, Münster, Hamburg, Hannover, Berlin, Trier, Wiesbaden, Frank- furt/Main, Weiden und München die Gelegenheit, mit Jugendgruppen, Studentinnen und Studenten sowie jungen Soldaten ins Gespräch zu kommen. Ihr besonderes Anliegen be- stand darin, den Jahrestag nicht in einen formalen Charakter von Feiern, Kranzniederle- gungen und Empfängen abdriften zu lassen, sondern die Jugend über jene Zeit aufzuklä- ren, offen zu diskutieren und Fragen zu beantworten. Die Gespräche erwiesen sich als er- folgreich, weshalb man beschloss, derartige Aussprachen in Schulen, an Universitäten und pädagogischen Einrichtungen, aber auch Kasernen fortzuführen. 5 Die Delegation besuchte in Bonn ebenfalls die österreichische Botschaft, um den Bot- schafter über ihre Tätigkeit in Deutschland und die positiven Erfahrungen mit den Jugend- lichen zu unterrichten. Dabei wurde angeregt, ähnliche Veranstaltungen auch für österrei- chische Schulen zu organisieren. Der österreichische Botschafter versprach, den Vorschlag
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