Erziehung und Unterricht 2018/3+4
232 Steffek, (Un)ausgesprochen Erziehung und Unterricht • März/April 3-4|2018 Andrea Steffek (Un)ausgesprochen Summary: Wie kamen Zeitzeuginnen und Zeitzeugen des Nationalsozialismus ab An- fang/Mitte der 1960er Jahre an österreichische Schulen? Was soll damit bezweckt werden? Wäre es nicht besser zu schweigen und alles zu belassen, wie es war? Wozu die Vergan- genheit thematisieren? Hat das Sprechen über die Vergangenheit, das Erzählen des Er- lebten einen Mehrwert für unsere Zukunft? Diesen Fragen geht der vorliegende Beitrag nach. Einleitung „Wir haben geglaubt, daß wir Ruhe finden werden am Herzen der Welt, das für uns schlägt, für un- ser Schicksal. Daß dem nicht so ist, das ist ein schwerer Schlag für uns, der es uns schwer macht, uns wiederzufinden. Sicher sind wir zu anspruchsvoll und haben uns in unserer Gefangenschaft eine Welt zusammengeträumt, die es nicht gibt, nicht geben kann. Wir haben ein Extrem erlebt, das wirklich Böse. Jetzt dachten wir, das andere zu erleben – das wirklich Gute. Wir haben die rich- tigen Maße verloren und müssen erst den Weg finden zwischen diesen beiden. “ 1 Viele Überlebende der nationalsozialistischen Konzentrationslager verspürten nach ihrer „Rückkehr ins Leben“ ein großes Bedürfnis zu sprechen, von ihrem Schicksal zu be- richten, doch ihre Enttäuschung war groß. Erwähnten sie Auschwitz oder ein anderes Lager, konnten sie regelmäßig die gleichen Reaktionen beobachten: mitleidvolle Blicke, ausweichendes Verhalten, so, als ob man sie schonen wolle. Jede ernsthafte Auseinander- setzung mit der Vergangenheit wurde möglichst unterbunden, standen doch offiziell der Wiederaufbau und das so genannte „Wirtschaftswunder“ im Vordergrund. Man gab ihnen „sanft“ zu verstehen, dass die Themen Vergangenheit und Nationalsozialismus tabu seien und auch sie sich neu orientieren sollten, und dazu passte kein „Blick zurück“. Eine Idee bricht sich Bahn … Dass dieses so geschaffene Tabu früher oder später aufgebrochen werden würde, be- merkte Hermann Langbein zum ersten Mal als Beobachter des ersten Frankfurter Auschwitz-Prozesses (1963-1965). Nicht nur die Medien, sondern ganze Schulklassen ver- folgten immer wieder die Verhandlungen. So kam es, dass Hermann Langbein zu ersten Gesprächen mit Jugendlichen in deutsche Schulen eingeladen wurde. Beispielhaft sei hier eine Vortragsreise auf Einladung der Hessischen Landeszentrale für politische Bildung von 19. April bis 5. Mai 1966 genannt, die ihn nach Frankfurt/Main, Darmstadt, Wiesbaden, Of- fenbach, Hofheim, Fulda, Kassel und Giessen führte. In seinem Resümee hielt er folgendes fest: „Die Erfahrung dieser Vortragsreise berechtigt, weitere ähnliche Vorträge vorzuschlagen. Dabei wäre aber zu beachten, dass sichtlich diejenigen Vorträge und Diskussionen am fruchtbarsten wa- ren, wo die Teilnehmer auf das Thema vorbereitet waren. Vielleicht kann bei Studienseminaren vor derartigen Vorträgen ein entsprechender Lesestoff angegeben werden.
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