Erziehung und Unterricht 2018/3+4

228 Unterwurzacher, „GastarbeiterInnen“ (1961–1973) Erziehung und Unterricht • März/April 3-4|2018 am untersten Ende der beruflichen Hierarchie eingegliedert; es entstand dadurch eine spezifische Form der sozialen Ungleichheit bei der sich ethnische Zugehörigkeit mit der Zugehörigkeit zur untersten sozialen Schicht verband. Die Folgen dieser sozialen Schlie- ßung sind bis heute spürbar und beeinflussen die Lebenslagen der „ersten Generation” (Stichwort höheres Risiko der Kumulation von Problemlagen in der Nacherwerbsphase; siehe Reinprecht 2006) ebenso wie die der Nachfolgegenerationen. Wohn- und Lebensverhältnisse in Österreich Neben der Bereitstellung der Arbeitsplätze hatten die Betriebe für eine ortsübliche Unter- kunft der angeworbenen „GastarbeiterInnen” zu sorgen. Welche Standards diese ortsübli- chen Unterkünfte aufweisen mussten, war gesetzlich jedoch nicht geregelt. Anfänglich kamen die Menschen mehrheitlich in firmeneigenen Unterkünften bzw. von Firmen bereit- gestellten privaten Wohnmöglichkeiten unter. Auch wenn die Qualität der Unterbringung durchaus unterschiedlich gewesen sein dürfte – von vergleichsweise gut bis völlig unzu- reichend – erinnern sich Menschen aus der Türkei und aus Jugoslawien in lebensgeschicht- lichen Interviews vor allem an die sehr beengten Verhältnissen in den provisorisch einge- richteten Gemeinschaftsunterkünften. Mehrere Menschen mussten sich ein Zimmer teilen, zum Schlafen standen meistens Stockbetten zur Verfügung. Koch- und Waschgelegenhei- ten waren meist dürftig und mussten ebenfalls gemeinschaftlich genutzt werden. Auf- grund der Enge in den Unterkünften konnte man sich den anderen Bewohnern nur schwer entziehen: Gegenseitige Störungen, z. B. bei versetzten Schichten oder aufgrund unter- schiedlicher Zeitgestaltungen, waren an der Tagesordnung und Privatsphäre generell kaum vorhanden. Auch nach dem Auszug aus den Baracken gehörte die Wohnsitutation weit über den hier betrachteten Zeitraum hinaus zu den dauerhaften Aspekten der Unter- privilegierung und der ethnischen Diskriminierung gegenüber ArbeitsmigrantInnen (vgl. ausführlich Wimmer 1986, S. 281ff.). In der Anfangsphase der „Gastarbeit” scheiterten frühe Versuche, Familienmitglieder nachzuholen, in erster Linie an unzureichenden Wohnver- hältnissen. Neben den dezidiert negativen Folgen des Lebens in den Gemeinschaftsunterkünften in der Anfangsphase erzählen die zugewanderten Menschen in Interviews teilweise aber auch von der speziellen Solidarität die sich in diesen Unterkünften entwickelt hätte. Die Freundschaften zwischen den „Schicksalsgenossen” dürften in emotionaler Hinsicht durch- aus eine stabilisierende Funktion gehabt haben, um mit den unterschiedlichen Belastun- gen und neuen Anforderungen besser umgehen zu können. Viele „GastarbeiterInnen” er- lebten vor allem die Trennung von ihren Familien, Freunden und Bekannten als starken Bruch. Nach ihren Erinnerungen an diese Zeit befragt, erzählen die zugewanderten Men- schen häufig von den im Unterschied zu heute eingeschränkten Kommunikationsmöglich- keiten. Das Warten auf Nachrichten prägte aber auch den Alltag der Zurückgebliebenen in den Herkunftsländern (vgl. Hollomey-Gasser et al. 2015, S. 45f.). In ihrer spärlichen Freizeit waren die angeworbenen Menschen – wohl auch wegen der anfänglichen Sprachbarrieren – gerne gemeinsam unterwegs und drehten in Gruppen ihre Runden in den Straßen, auf den Plätzen und in den Parks der jeweiligen Arbeitsorte. Auch Bahnhöfe wurden zu beliebten Treffpunkten, um sich mit Landsleuten zu unterhalten (vgl. Payer 2004, S. 7f.). In den ersten Jahren mussten die Menschen ohne eigene Organisationen und Freizeiträume auskommen. Jugoslawische und türkische „GastarbeiterInnen” gründe- ten ab Ende der 1960er Jahre erste Vereine. Solche migrantische Selbstorganisierungen blieben jedoch in der Phase der aktiven Anwerbung bis zum Höhepunkt im Jahr 1973 Ein- zelfälle. Erst ab den 1980er Jahre stieg die Zahl der Vereinsgründungen dann beträchtlich

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