Erziehung und Unterricht 2018/3+4
Unterwurzacher, „GastarbeiterInnen“ (1961–1973) 227 Erziehung und Unterricht • März/April 3-4|2018 zunehmend auch türkische Frauen beschäftigt; im Jahr 1973 waren rd. 21 % aller be- schäftigten TürkInnen weiblich. Anders war dies bei den JugoslawInnen: Bereits 1964 be- trug der Frauenanteil an allen jugoslawischen Beschäftigten etwas mehr als 1/4, bis 1973 stieg der Anteil der Frauen auf rund 1/3 an (Biffl 1986, S. 38). Frauen wie Männer wurden überwiegend als an- und ungelernte ArbeiterInnen einge- setzt (Frauen: 95 %, Männer: 85 %, vgl. Matuschek 1985, S. 175). Kennzeichnend für die „Gastarbeit” war die Konzentration auf einige wenige Branchen: Im Jahr 1965 etwa verteil- ten sich etwas mehr als 2/3 aller ausländischen Arbeitskräfte auf drei Wirtschaftsbranchen: In der Bauwirtschaft waren 32 % aller ausländischen Arbeitskräfte beschäftigt – in der Me- tallindustrie 16 % und der Textilindustrie 10 % (vgl. Biffl 1986, S. 42). Wenn auch diese Kon- zentration im Laufe der Jahre etwas abnahm, fanden die zugwanderten Menschen vor al- lem in jenen Wirtschaftszweigen Beschäftigung, aus denen ÖsterreicherInnen wegen der geringen Bezahlung, der besonders unangenehmen und belastenden Arbeitsbedingungen (etwa Lärm, Schmutz, körperliche Anstrengung usw.), der Schicht- und Akkordarbeit und dem Risiko konjunktureller und saisonaler Arbeitslosigkeit abwanderten (vgl. Matuschek 1975, S. 175). In den saisonalen Branchen (v. a. am Bau) kehrten die „GastarbeiterInnen” an- fangs nach Saisonende in ihre Herkunftsländer zurück, um in der nächsten Saison erneut einzureisen. In vielen anderen Bereichen hingegen ließ sich das Rotationsprinzip wegen der dort notwendigen Anlernzeiten nicht verwirklichen; in diesen Bereichen wurden die Bewilligungen von Jahr zu Jahr verlängert. Die kurze Laufzeit der Bewilligungen, die je nach Konjunktur auch wieder versagt werden konnten, ließ eine längerfristige Lebensplanung nur schwer zu. Österreich war für einen Teil der „GastarbeiterInnen” lediglich eine Zwischenstation auf ihrem Weg nach Deutschland oder in die Schweiz (vgl. Lorber 2017, S. 115). Vida Bakondy (2013, S. 15) bezeichnete diese Form der Mobilität als eine „Strategie des Aufbegehrens ge- gen die Arbeitsverhältnisse in den 1960er Jahren”. Generell waren aufgrund der rechtlichen Lage die Möglichkeiten, zu protestieren oder einen selbstinitiierten Arbeitsplatzwechsel zu organisieren, allerdings begrenzt: „GastarbeiterInnen” waren per Beschäftigungsbewilli- gung an einen spezifischen Betrieb gebunden, zudem galt ihre Bewilligung nur temporär. All dies waren Druckmittel für Arbeitgeber, um einen Arbeitsplatzwechsel – auch bei schlechten Bedingungen oder Diskriminierung – zu verhindern (vgl. Hahn & Stöger 2014, S. 26). Wechselten die „GastarbeiterInnen” dennoch den Arbeitsplatz, so galt dies im Falle der offiziell Angeworbenen als Vertragsbruch. In den Akten der Wirtschaftskammer finden sich viele Beschwerden über vertragsbrüchig gewordene Arbeitskräfte. In den Anfangsjahren forderten Firmen in solchen Fällen immer wieder Kompensationen und Sanktionen (Rück- erstattung der Anwerbepauschale, Verhängung von Vermittlungsverboten, Abschiebun- gen). 3 1966 wurde zudem eine Ausländer-Arbeitskarte eingeführt, um die immer wieder vorkommenden Arbeitsplatzwechsel stärker zu unterbinden. 4 Innerbetrieblich konnten ausländische Arbeitskräfte ihre Anliegen ebenfalls nur einge- schränkt selbst vertreten, blieb ihnen doch bis ins Jahr 2006 hinein das passive Betriebs- wahlrecht verwehrt (vgl. Lorber 2006, S. 233). 1970 erhielten Drittstaatsangehörige lediglich die Möglichkeit, eigene SprecherInnen zu stellen. Diese hatten rechtlich jedoch eine schwache Stellung: Arbeitgeber waren nicht verpflichtet, diese anzuhören oder deren Vor- schläge umzusetzen; es gab auch keinen Kündigungsschutz für die SprecherInnen (vgl. ebd.). Die Umsetzung des Gastarbeiterregimes hatte weitreichende Folgen: Die Zuwande- rung der „GastarbeiterInnen” hat zur Unterschichtung der österreichischen Gesellschafts- struktur geführt. Aufgrund der überwiegenden Anwerbung für Tätigkeiten im niedrig ent- lohnten und gering qualifizierten Arbeitsmarktsegment haben sich die „GastarbeiterInnen”
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