Erziehung und Unterricht 2018/3+4
Unterwurzacher, „GastarbeiterInnen“ (1961–1973) 225 Erziehung und Unterricht • März/April 3-4|2018 gen Zeit charakteristisch sind: Der montenegrinische Arbeitsmigrant wird als einfach und anspruchslos und zugleich als sehr tüchtig charakterisiert. Seine ökonomischen Ziele sind auf eine mehr oder weniger rasche Rückkehr in sein Herkunftsland gerichtet, sein Aufent- halt in Österreich wird daher als nur vorübergehend angesehen (vgl. ausführlicher Fischer 2009, S. 251). „Es sollten also vor allem Arbeiterstunden importiert werden und nicht Fami- lien …“ ( Biffl 1986, S. 33). Dieser Artikel nähert sich der Phase der aktiven Anwerbung von „GastarbeiterInnen“ aus einem kollektivbiographischen Blickwinkel heraus an. Es wird aufgezeigt, welche Arbeits- und Lebensbedingungen Menschen in Österreich vorfanden, die in einer Phase des starken Wirtschaftswachstums in den Jahren 1961 bis 1973 als „GastarbeiterInnen“ nach Österreich geholt wurden bzw. als „TouristInnen“ einreisten, um sich vor Ort Arbeitsplätze zu suchen. Die Menschen, die in diesem Zeitraum ins Land gekommen sind, sind keine homogene „Gruppe“ – auch wenn sie gerne pauschal als die „ die Türken“ oder „ die Jugoslawen“ wahr- genommen werden. Sie unterscheiden sich nach sprachlichen, kulturellen und religiösen Kriterien ebenso, wie sie unterschiedliche biographische Erfahrungen und soziale Hinter- gründe mit sich brachten und auch vor Ort unterschiedliche Lebensstile bzw. Milieus aus- formten. Ihre Gemeinsamkeit liegt lediglich in der geteilten Erfahrung der Migration. Die politische Ausgestaltung ihrer Zuwanderungsgeschichte hat darüber hinaus spezifische Exklusionsrisiken nach sich gezogen und ihr Leben daher auf eine ganz bestimmte Art und Weise geprägt. Historischer Kontext – politische Regulierung der „Gastarbeit“ in Österreich Der ab Ende der 1950er Jahre allmählich auch in Österreich einsetzende Wirtschaftsauf- schwung ließ das inländische Arbeitskräftepotential zunehmend knapp werden. Nach lan- gem Ringen kam es im Dezember 1961 zu einem politischen Tauschgeschäft („Raab-Olah- Abkommen”): Der Gewerkschaftsbund gab seinen Widerstand gegen eine Liberalisierung der Ausländerbeschäftigung auf. Im Gegenzug wurden den Gewerkschaften erweiterte Mitsprachemöglichkeiten im Rahmen der Sozialpartnerschaft eingeräumt. Von den Sozial- partnern wurden jedes Jahr neue Kontingente für ausländische Arbeitskräfte ausverhan- delt. Die ausländischen Arbeitskräfte sollten zeitlich begrenzt angestellt und auf jeden Fall wieder zurückgeschickt werden („Rotationsprinzip“). Um der Gefahr der Lohnkonkurrenz vorzubeugen, wurden die ausländischen Arbeitskräfte zu denselben Lohn- und Arbeitsbe- dingungen beschäftigt. Die rekrutierten Arbeitskräfte durften zudem nicht als Streik- brecherInnen eingesetzt werden und bei Personalabbau mussten sie vor den inländischen Arbeitskräften gekündigt werden (vgl. Matuschek 1985, S. 165f.) Mit dieser Regulierung wurde die restriktive Migrationspolitik, wie sie mit dem Inlandarbeiterschutzgesetz von 1925 eingeführt wurde, in der zweiten Republik in wesentlichen Punkten fortgesetzt (vgl. Horvath 2014, S. 180ff.). Ohne Zutun österreichischer Stellen, wäre es zu keiner Einwanderung gekommen – Österreich war als Zielland aufgrund des niedrigen Lohnniveaus wenig attraktiv. Ein 1962 mit Spanien abgeschlossenes Abkommen blieb relativ bedeutungslos. Erst das 1964 mit der Türkei abgeschlossene Anwerbeabkommen, dem 1966 ein weiteres mit Jugoslawien folgte, brachte die ersehnten Arbeitskräfte in großer Zahl ins Land. Von 1971 und 1973 gab es zudem eine probeweise Vereinbarung mit Tunesien (es kamen rund 1.000 Menschen aus Tunesien, vgl. ausführlicher Unterwurzacher 2017). 1961 betrug der Anteil der „Gastarbeite- rInnen“ an allen unselbständig Beschäftigten lediglich 0,5 % (11.600 Menschen); 1973
Made with FlippingBook
RkJQdWJsaXNoZXIy ODE3MDE=