Erziehung und Unterricht 2018/3+4
220 Schmidlechner, Österreich in den 1950er Jahren Erziehung und Unterricht • März/April 3-4|2018 ten Konsumkultur, die gravierend zur Veränderung des Alltagslebens der ÖsterreicherIn- nen beitrug. 6 Die Vereinigten Staaten von Amerika standen damals für Reichtum, Massen- wohlstand, Freiheit, und Modernität. Amerikanische Nahrungs- und Konsumgüter wurden zu unverzichtbaren Bestandteilen österreichischer Lebensqualität. Aber auch amerikani- sche Kulturformen wie Filme, Musik und moderne Tänze erlangten großen Einfluss auf die österreichische Gesellschaft. (vgl. Hanisch 1994, S. 427) Speziell für Jugendliche symbolisierten die amerikanischen Produkte Freiheit und Un- abhängigkeit und wurden ein wesentlicher Bestandteil ihres Lebensstils und ihrer kultu- rellen Alltagspraxis. Auch die amerikanische Musik, und dabei in erster Linie der Rock 'n' Roll, der die Jugendlichen begeisterte, war ein wichtiger Teil dieses neuen Lebensgefühls. (vgl. Zimmermann 1989, S. 109) Mit der Transformation dieser amerikanischen Massenkul- tur nach Österreich wurde unter der Bezeichnung „Teenager“ auch ein neuer Jugendlichen- typ importiert. Das Wort selbst tauchte etwa zur selben Zeit auf wie die Wörter „Blue Jeans“ und „Coca-Cola“ und gab wie diese dem neuen Lebensgefühl Ausdruck. 7 Die männlichen Teenager gaben ihr Geld vorzugsweise für Motorräder, Radios, Plattenspieler und Schall- platten, die Mädchen v.a. für Bekleidung und Kosmetik aus. Informationen über die neuen Produkte und Stile wurden in erster Linie über die Massenmedien vermittelt. 8 Für den sich gerade etablierenden Teenager-Freizeit-Markt, der eigentlich auf männliche Bedürfnisse abgestimmt war, stellten die Mädchen eine neue, attraktive Zielgruppe dar. Vor allem die berufstätigen Mädchen waren eine wichtige neue Konsumentengruppe für diese entste- hende Jugendfreizeitindustrie, weil sie Geld ausgeben konnten. Neue Jugendkulturen wie die Teenagerkultur verweisen somit nicht nur auf veränderte Konsumpräferenzen, sondern spiegeln auch die veränderten Verhältnisse von Produktion und Arbeitsmarkt. (vgl. Zin- necker 1987, S. 83ff) Gegen eine „Amerikanisierung der Sitten“ und damit verbundenen befürchteten Locke- rungen von Autoritä t en traten v.a. konservative Kreise massiv auf. Für sie war akuter Hand- lungsbedarf gegen diese neuen Strömungen gegeben. Es kam zu einem Kampf gegen „Schmutz und Schund“, der hauptsächlich von Kirche, Schule und Jugendorganisationen ge- führt wurde. 9 Besonderer Kritik von seiten der Gesellschaft waren auch die Halbstarken ausgesetzt. Als Halbstarke wurden die sich in Österreich ab der Mitte der 50er Jahre bildenden, haupt- sächlich aus männlichen Jugendlichen aus dem Arbeitermilieu bestehenden Gangs be- zeichnet, 10 die durch die Übernahme der amerikanischen Massenkultur ihren Protest gegen die Gesellschaft und die Ablehnung der Werte dieser Gesellschaft zum Ausdruck brachten. 11 Frauenarbeit Frauen wurden in der österreichischen Nachkriegsgesellschaft primär als Mütter und Haus- frauen und ihr Platz in der traditionellen Kleinfamilie gesehen. Familie in jener Zeit wurde wahrgenommen als Schonraum für ihre Mitglieder vor dem Druck der Außenwelt, als ber- gendes und schützendes Rückzugsgebiet. Diese idealisierte und propagierte Lebensform entsprach einem Bedürfnis weiter Teile der Bevölkerung nach den Belastungen der Kriegs- und unmittelbaren Nachkriegszeit. Wirtschaftliche Unabhängigkeit und Selbstverwirkli- chung für Frauen außerhalb typischer weiblicher Lebenszusammenhänge kamen in diesem Modell nicht vor. (vgl. Thurner 1995, S. 56) Berufstätigkeit von Frauen wurde nur als Ergän- zung und wenn es die Wirtschaftslage erforderte, akzeptiert. Die im Erwerbsleben tätige Mutter wurde als „soziale Fehlentwicklung“ bezeichnet. Alleinstehenden und kinderlosen Frauen wurde ihre Geschlechtsidentität abgesprochen, berufs- und karriereorientierte Frauen wurden als krank stigmatisiert. Frauen, die als normal, als „richtige“ Frauen, gelten
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