Erziehung und Unterricht 2018/3+4
214 Rohrbach, „Besatzungskinder“ – Die Kinder alliierter Soldaten und österreichischer Frauen Erziehung und Unterricht • März/April 3-4|2018 einem in der Gastwirtschaft tätigen Ehepaar in Pflege, und wurde später adoptiert. Als das Paar das Kind zu sich nahm, ging es den beiden nicht darum, Linda Geborgenheit und ein liebevolles Zuhause zu bieten, sondern sie wollten in erster Linie eine Attraktion für ihr Gasthaus haben. Von Bekannten ihrer Adoptiveltern erfuhr Linda viele Jahre später: „Ja, wie du gekommen bist, das war ja eine Sensation! Und jeder ist gekommen und hat geschaut, wie so ein kleines N****baby ausschaut.“ 3 Um die Gäste in den darauffolgenden Jahren besser unterhalten zu können, musste Linda Akkordeon spielen und Jodeln lernen. Ab dem Zeitpunkt, als sie alt genug für gewisse Haushaltsbetätigungen war, zählte auch die Mitarbeit in der Gaststätte zu ihren Pflichten. Sie war eine Attraktion und eine billige Arbeitskraft. Für Freunde und Freizeitaktivitäten gab es, in diesem Zusammenhang keinen Platz: „Ich durfte auch nie jemanden mit nachhause nehmen.“ Tabuisierung der Herkunft Während sich die Abstammung bei Kindern schwarzer Soldaten aufgrund ihrer Hautfarbe nur schwer verleugnen ließ, versuchten viele Mütter weißer „Besatzungskinder“ deren Her- kunft zu verschleiern. Um sich und ihre Kinder zu schützen, behaupteten die Mütter oft, dass es sich bei den Vätern um deutsche bzw. österreichische Soldaten gehandelt habe. Viele Kinder alliierter Soldaten beschreiben, dass sie in ihrer Kindheit das Gefühl hatten, dass ihre Geschwister besser als sie behandelt wurden; sie stets den Eindruck hatten, in ih- rem gesellschaftlichen Umfeld nicht willkommen zu sein, und/oder sie sehr oft spürten, dass hinter ihrem Rücken getuschelt bzw. ihnen etwas verheimlicht werde. Von ihrer Her- kunft erfuhren sie häufig zufällig durch Anspielungen aus dem erweiterten Familienkreis bzw. von Bekannten oder Nachbarn. Ingrid Schnabel erinnert sich: „Ich erfuhr nicht von meiner Mutter, dass er ein russischer Soldat war, […], die Schulkinder und Kirchengeher bemerkten das nebenbei“ ( Schnabel 2015, S. 419). Nach Jahren oder Jahrzehnten durch ei- nen Zufall und beiläufig von der wahren Herkunft des Vaters zu erfahren, wird von vielen Betroffenen nicht nur als ein demütigendes, sondern auch zutiefst traumatisierendes Er- lebnis beschrieben, das sie in zahlreichen Fällen noch bis in die Gegenwart beschäftigt. Diskriminierung Der Eintritt in die Schule bzw. der Beginn der Berufsausbildung bedeutete für die Kinder bzw. Jugendlichen, dass sie den Schritt aus ihrem vertrauten Umfeld heraus in eine neue Öffentlichkeit machten. Neben zahlreichen positiven Erfahrungen sahen sie sich dort auch immer wieder mit Diskriminierungen konfrontiert, sei es aufgrund ihres unehelichen Sta- tus, der Herkunft ihrer Väter oder ihrer Hautfarbe. In ihrem Interview berichtet Linda O. über ihre Schulzeit: „Und ich habe dann in der dritten Klasse noch eine Lehrerin gehabt, die mir total aufgesessen ist. Also die mochte mich überhaupt nicht. Die hat mich gemobbt, wo sie nur konnte. Und die hat mich auch prompt sitzen gelassen. […] Die hat sich auf mich regelrecht eingeschossen. […] Eine richtige Rassistin war das. […] Ich habe alles ab- gekriegt was irgendwer irgendwo [ gemacht hat ] . Da war immer ich die Schuldige. […] Und die Kinder rundherum, die einen ständig beschimpft haben oder aufgelauert haben um dir irgendetwas zu tun. Zu stoßen, zu, zu beschimpfen und... […]. Also man ist da schon ir- gendwie unter Dauerstress.“ Die Vorurteile, die den „Besatzungskindern“ gegenüber an den Tag gelegt wurden, strahlten auch vielfach in deren Familien hinein und konnten dazu führen, dass sich nahe Angehörige, die einem die längste Zeit positiv gesinnt waren, zurückgesetzt fühlten und sich plötzlich gegen einen wandten. Inge Schnabel merkt dazu an: „Für meine acht und
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