Erziehung und Unterricht 2018/3+4

Rohrbach, „Besatzungskinder“ – Die Kinder alliierter Soldaten und österreichischer Frauen 211 Erziehung und Unterricht • März/April 3-4|2018 Ein weiteres Charakteristikum der österreichischen Nachkriegsgesellschaft war, dass es sich bei ihr großteils um eine Gesellschaft von Frauen, Kindern und alten Menschen han- delte. Männer in wehrfähigem Alter befanden sich nur wenige im Land. Die politische und/oder rassistische Verfolgung, Vertreibung und Ermordung eines bedeutenden Anteils der Vorkriegsbevölkerung durch das NS-Regime und seine UnterstützerInnen hatte zu gro- ßen Einbußen in der Gesellschaft geführt. Des Weiteren kehrten etwa 247.000 Österreicher, die in der Wehrmacht gedient hatten, nicht mehr in ihre Heimat zurück. Sie waren gefallen oder galten als dauerhaft vermisst; circa 500.000 weitere befanden sich in Kriegsgefangen- schaft (Vgl. Vocelka 2002, S. 318). Bei ihrer Rückkehr waren die Heimkehrer vielfach unterernährt, verletzt bzw. invalid und durch das Kriegsgeschehen traumatisiert und/oder psychisch geschädigt. Zahlreiche Beziehungen und Ehen gingen in Brüche, was sich in der extrem hohen Scheidungsrate der ersten Nachkriegsjahre widerspiegelte. Im Mai 1949 betitelte der Wiener Kurier in ei- nem Artikel: „500.000 Österreicherinnen finden keine Männer“ und bezifferte damit ein Hauptproblem der österreichischen Nachkriegsgesellschaft. 1 Begegnungen zwischen alliierten Soldaten und österreichischen Frauen Die schwierige Versorgungslage, die hohe Trennungs- und Scheidungsrate, der eklatante „Männermangel“ und andererseits die Macht und Möglichkeiten, über die alliierte Soldaten als Mitglieder der Besatzungsmacht in Österreich verfügten, hatten großen Einfluss darauf, dass viele Frauen auch die im Land stationierten Soldaten für ihre Partnerwahl in Erwä- gung zogen. Darüberhinausgehend – und das kommt in zeitgenössischen Berichten über die Besatzungszeit oft zu kurz – spielte dabei das Bedürfnis nach Nähe, Geborgenheit eine zentrale Rolle, sowie der Wunsch nach Jahren des Krieges und der Entbehrung endlich wieder das Leben genießen und eine „normale“ Beziehung führen zu können. Gelegenheiten, bei denen die Bevölkerung mit den Soldaten zusammentraf, gab es in den Besatzungszonen zahlreiche. Obwohl die Armeeführungen der alliierten Mächte weit- gehend darum bemüht waren, die Interaktion zwischen ihren Truppenangehörigen und der österreichischen Bevölkerung auf ein Minimum zu beschränken – die britische und amerikanische Armeeführung hatten in der Anfangszeit sogar ein Fraternisierungsverbot verhängt, das aber bereits nach einigen Monaten wieder aufgehoben wurde – ließ sich dieses Vorhaben nicht realisieren: ÖsterreicherInnen begegneten den Soldaten zufällig auf der Straße, mussten für sie Dienstleistungen verrichten (Wäsche waschen, Nähen etc.). Auch Arbeiten als DolmetscherInnen, KöchInnen, TelefonistInnen, MechanikerInnen wur- den für die verschiedenen Besatzungsmächte verrichtet – allein die US-Stellen beschäftig- ten in Salzburg etwa 5.000 Personen ( Thurner 1992, S. 7) – oder trafen in Bars bzw. im Rahmen von Freizeitaktivitäten mit diesen Personen zusammen. Dass im Zuge dieser Begegnungen nicht nur Freundschaften, sondern auch eine Reihe anderer Beziehungen entstanden, verwundert in diesem Zusammenhang nicht. Wie die Kontakte zwischen alliierten Soldaten und Österreicherinnen im Detail ausgeprägt waren, kann nicht immer genau bestimmt werden. Was sich aber mit Sicherheit feststellen lässt, ist, dass sie eine erhebliche Bandbreite aufwiesen, die von (Gelegenheits-)Prostitution über Affären bis hin zu Liebesbeziehungen reichte. Relativ undifferenziert fielen hingegen die Reaktionen eines großen Teils der österrei- chischen Bevölkerung auf diese Beziehungen aus. Bezeichnungen wie „Ami-Früchtchen“, „Russenflitscherl“, „Schokoladies“ zeigen, wie das Gros der österreichischen Bevölkerung Frauen, die mit alliierten Soldaten Umgang hatten, etikettierte und einordnete.

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