Erziehung und Unterricht 2018/3+4
Brettl, Erzwunge Wege – Das Burgenland und die Auswanderung 193 Erziehung und Unterricht • März/April 3-4|2018 Mai 1897 in Zenavlje bei Murska Sobota geboren, vor 1918 ein Teil der ungarischen Monar- chie. Sein landwirtschaftlich geprägtes Heimatdorf konnte die Existenz der Bevölkerung nicht ausreichend sichern, sodass zahlreiche Kleinbauern, vor allem junge Männer und Frauen, die in der umliegenden Region nicht ausreichend Arbeit fanden, sich auf die Suche nach saisonalen Arbeitsstellen begaben. Die landwirtschaftlichen Saisonarbeiter aus der Region Güssing, Jennersdorf und Szentgotthárd kamen während der Sommermonate als Erntearbeiter auf die Gutshöfe des nördlichen Burgenlandes. Der dort verdiente Lohn musste alsdann die Existenz in der Heimat für die Wintermonate sichern. Auch Koloman Császár schloss sich einer Saisonarbeitergruppe an und kam auf einen Gutshof bei Andau, um hier auf den Zuckerrüben- und Getreidefeldern des Großgrundbesitzers zu arbeiten. Während dieser Zeit lernte er Maria Pelzer kennen und lieben. Deren Vater lehnte diese Beziehung ab. Neben den ökonomischen Aspekten war es auch das evangelische Reli- gionsbekenntnis von Koloman, das dem Vater missfiel. Als er von der Schwangerschaft Marias erfuhr, eskalierte die Situation. Er entzog seiner Tochter jegliche Unterstützung und drängte sie zur Emigration. Zur Finanzierung der Schiffspassage verkaufte er ein Stück Feld. Auch Marias Flehen und Schluchzen konnte den Vater nicht mehr umstimmen. Seine schwangere Tochter sollte, wie es so viele andere auch taten, auswandern und sich in der Fremde eine eigene Existenz aufbauen. ( Döbele, 30. 08.2017) Neues Zielland: Argentinien Die Masseneinwanderung in die USA wurde 1923 abrupt gestoppt, nachdem die US-Behör- den für jeden Staat eine bestimmte Quote für einwanderungsberechtigte Personen fest- gelegt hatten. Da Österreich von den USA als eher rückständiges Land angesehen wurde, verringerte sich der Einwanderungsstrom um 90 Prozent. Die Auswanderungswilligen mussten sich somit ein neues Zielland suchen. Dieses wurde nun im Westen Kanadas oder in den Küstengebieten Brasiliens oder Argentiniens gefunden. ( Brettl 2011, S. 154) Agenten der Schifffahrtsgesellschaften konnten die Auswanderungswilligen aus Andau für Argentinien anwerben, wohin sich zwischen 1922 bis 1932 mindestens 101 Personen aus Andau begaben. Die Auswanderer waren vor allem junge, ledige Männer, die dem wirt- schaftlichen Elend in der Heimat entflohen. 72 % aller Emigranten waren zwischen 16 und 20 Jahre alt, unter diesen auch teilweise unbegleitete minderjährige Jugendliche, die größ- tenteils als landwirtschaftliche Arbeiter kein Auskommen mehr fanden. Kaum ein Auswan- derer war älter als 30 Jahre alt und niemand war über 40 Jahre alt. ( Brettl 2001, S. 187) Auch Koloman entschied sich für die Auswanderung, da die wirtschaftliche Not sich ver- größerte, und weil er mit Maria eine Familie gründen wollte. Die Wahl fiel auf Argentinien, wo genügend Arbeitsplätze vorhanden waren, wie man aus Briefen von Bekannten erfah- ren hatte. Für Maria war es ein trauriger Abschied unter Tränen, als die beiden sich im Fe- bruar 1925 nach Wien begaben. Dort heiratete das Paar, bevor es sich mit dem Zug nach Le Havre in Nordfrankreich begab. Dort bestiegen sie, wie schon viele Landsleute zuvor, im Hafen ein Schiff der Reederei Chargeurs Réunis in Richtung Argentinien. ( Kern , 19.02.1991) In der Fremde Nach beinahe dreiwöchiger Reise erreichten Ende Februar Maria und Koloman Buenos Aires. Nach ein paar Tagen im Emigrantenhotel zogen sie in den Vorort Flores, wo schon zahlreiche Landsleute in kleinen Mietwohnungen lebten. Die boomende Millionenstadt, die tausende Immigranten jährlich anlockte, war eine moderne und fortschrittliche Metropole. Die Baubranche bot zahlreiche Arbeitsplätze, und so war es auch für Koloman nicht schwer, eine Beschäftigung zu finden. Er nahm in den folgenden Monaten verschiedene
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