Erziehung und Unterricht 2018/3+4
192 Brettl, Erzwunge Wege – Das Burgenland und die Auswanderung Erziehung und Unterricht • März/April 3-4|2018 Dem sozialen Elend entliehen Nur die räumliche Mobilität konnte die triste wirtschaftliche Lage etwas mildern. Insbe- sondere die junge Bevölkerung des Ortes begann, wie in den benachbarten Dörfern, be- reits in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts sich nach neuen Arbeitsmöglichkeiten umzuse- hen. Die Abwanderung erfolgte einerseits in Form einer Binnenwanderung in die Indus- triezentren in den Raum Wien. Dort fanden die jungen Männer in der boomenden Metro- pole Wien vielfach Beschäftigung als Bauarbeiter, vor allem als Maurer und Zimmerleute, während die jungen Frauen als Haushaltgehilfinnen gefragt waren. Andererseits begann eine Massenwanderung in die USA, die durch die verbesserten Verkehrsverhältnisse er- leichtert wurde und unter den gegebenen volkswirtschaftlichen Bedingungen eine Not- wendigkeit war, um den Überschuss an Arbeitskräften zu reduzieren. ( Floiger, Gruber, Hu- ber 1996, S. 219) Über die Zahl der Emigranten, die bereits vor dem Ersten Weltkrieg das Land verließen, kann nur spekuliert werden, da verlässliche Zahlen fehlen. Eine Regionalzeitung veröffent- lichte aber 1894 Zahlen zur Auswanderung nach Amerika, die immerhin die Dimension er- kennbar machen. Zwar fehlen Statistiken über Andau, doch wanderte aus dem benachbar- ten Dorf Pamhagen zwischen 1860 und 1893 jede dritte Person und aus dem nahen Apetlon jede vierte Person ab. ( Neusiedler Wochenschrift vom 18. Februar 1894, S. 4) Erzwungener Ausweg Die Angliederung Andaus an Österreich 1921 hatte keine wesentlichen ökonomischen Ver- besserungen mit sich gebracht. Nachwirkungen des 1. Weltkrieges waren eine massive Wirtschaftskrise, aus der unter anderem eine Hyperinflation resultierte. Nur mit Hilfe einer Völkerbundanleihe konnte der Staatsbankrott verhindert werden. Diese Anleihe war jedoch mit strikten Auflagen verknüpft, wie beispielsweise einem Sparkurs zur Verringerung des enormen Budgetdefizits. Die wirtschaftlich und politisch instabile junge Republik Öster- reich konnte somit dem neuen Bundesland Burgenland die dringend notwendige finanzi- elle Unterstützung nicht zukommen lassen. (Weber 2008, S. 14ff) Die Formulierung „vom Stiefkind Ungarns zum Aschenbrödel der Republik Österreich“ beschrieb das Burgenland damals treffend. ( Binder 1925, S. 2) So blieb die Auswanderung weiterhin für viele Burgenländerinnen und Burgenländer die einzige Alternative, um der wirtschaftlichen Misere zu entfliehen. Gleich nach dem Ers- ten Weltkrieg setzte eine große Auswanderungswelle ein, in der von 1919 bis 1923 13.638 Burgenländer nach Amerika übersetzten. Die wirtschaftliche Misere des Burgenlandes wurde dadurch sichtbar, dass das Burgenland 1923 43 % aller Auswanderer stellte, obwohl es nur 4 % der österreichischen Bevölkerung ausmachte. ( Dujmovits 2012, S. 54ff) Auch in Andau setzte sich der Auswanderungstrend nach der Angliederung an Öster- reich weiter fort. Der örtliche Gendarmeriebeamte berichtete im November 1923 über die Situation in Andau: „Im Monat November haben sich bis nun 5 Insassen zur Auswanderug nach Nord-Amerika hierorts angemeldet. Grund hierfür ist immer, dass sie angeblich Ver- wandte dort ansässig haben und ein besseres Brot und Dasein finden werden.“ ( BLA. Lage- und Tätigkeitsbericht vom 28. November 1923. Andau) Koloman Császár Für Maria Pelzer war die Abwanderung trotz der fehlenden wirtschaftlichen Zukunft keine Option. Zu sehr war sie in ihrer Familie und in ihrem Heimatdorf verankert. Eine Zäsur er- folgte aber für sie, als Koloman Császár in ihr Leben trat. Koloman Császár wurde am 26.
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