Erziehung und Unterricht 2018/3+4
Brettl, Erzwunge Wege – Das Burgenland und die Auswanderung 191 Erziehung und Unterricht • März/April 3-4|2018 Die Mobilität der Bewohner Andaus war stark eingeschränkt durch das Fehlen einer Bahn- verbindung und die nicht befestigten Straßen zu den umliegenden Dörfern und Klein- städten. Nach der Schneeschmelze und starken Regenfällen waren die Straßen oft nicht benutzbar, sodass Pendelwanderung zu alternativen Arbeitsplätzen unmöglich war. Noch dazu geriet Andau durch die Angliederung des Burgenlandes 1921 an Österreich und die daraus resultierende neue Grenze zwischen Ungarn und Österreich in eine Randlage. Die Grenzziehung durchschnitt die ehemaligen wirtschaftlichen Interesssensräume der Ge- meinde So konnten die Bewohner ihren Holzbedarf nicht mehr ausreichend decken, die benachbarte Mühle nicht mehr in Anspruch nehmen und den Heuhandel nicht mehr unge- stört durchführen. Vor allem verloren durch die Grenzziehung die ärmeren Bewohner die Möglichkeit, im Winter sich durch Holzfällarbeiten das so wichtige Zubrot zu erwirtschaf- ten. ( Brettl 2006, S. 85) Maria Pelzer – eine junge Frau in einer engen Welt Maria Pelzer wurde am 17. Juli 1904 als älteste Tochter eines Landarbeiterehepaares in An- dau geboren. Ihr Vater versuchte mühsam als landwirtschaftlicher Taglöhner und mit der Bewirtschaftung von einem kleinen eigenen Stück Feld ein Auskommen für seine Familie zu finden. Die Mutter führte, wie es für Frauen im Dorf so üblich war, den Haushalt und half in der Landwirtschaft mit. Mühsam erbauten sie sich ein kleines bescheidenes Lehmzie- gelhaus ohne Strom- und Wasserversorgung. Die sanitären Verhältnisse waren, wie auch sonst im Ort, katastrophal, sodass gesundheitliche Probleme, wie beispielsweise Thyphus, immer wieder in der Gemeinde auftraten. Die meisten Landarbeiter schafften es jedoch nicht, sich ein eigenes Wohnheim zu errichten, sodass die Raumnot im Ort überall spürbar war. Marias Schulzeit war geprägt von der ungarischen Magyarisierungspolitik, die die deut- sche Sprache aus dem Unterricht verbannte. Für die Schulkinder bedeutete dies, dass sie in ihrer 6-jährigen Schulzeit zwar ungarische Lieder, Gedichte oder Gebete auswendig lern- ten, sich jedoch in ihrer deutschen Muttersprache nicht schriftlich ausdrücken konnten. Nach Ende der 6-jährigen Schulpflicht war für Maria die Ausbildungszeit vorüber. Wie alle anderen Mädchen des Ortes blieb sie ab dem 12. Lebensjahr zu Hause, um im Haushalt, in der elterlichen Landwirtschaft oder als landwirtschaftliche Taglöhnerin zu arbeiten. Nach dem frühen Tod ihrer Mutter übernahm Maria als 18-jährige die Rolle der Hausfrau und kümmerte sich um ihre beiden jüngeren Schwestern. ( Kern , 16.12.1992) Überbevölkerung Ein halbwegs regelmäßiges Einkommen in der Landwirtschaft zu finden wurde für die jun- gen Bewohner wegen der dynamischen demographischen Entwicklung immer schwieriger. Lebten 1890 in Andau 1.987 Einwohner, so waren es 1910 bereits 2.397. Der Grund für den Bevölkerungsanstieg war ein großer Geburtenüberschuss, da beispielsweise dank der Überwindung von Epidemien sowie der Bekämpfung des Kindbettfiebers die Sterberate gesenkt werden konnte, während gleichzeitig die Geburtenrate gleich hoch blieb. So wur- den in Andau im Zeitraum von 1900 bis 1909 jährlich durchschnittlich 115 Geburten ver- zeichnet. Da im selben Zeitabschnitt 73 Personen starben, stieg die Bevölkerungszahl von Andau jährlich um 42 Personen an. Diese weit geöffnete „Bevölkerungsschere“ hatte zur Folge, dass es zu einer Überbevölkerung kam, die von der Landwirtschaft nicht aufge- nommen werden konnte. ( Gemeindearchiv Andau, Matrikelbücher )
Made with FlippingBook
RkJQdWJsaXNoZXIy ODE3MDE=