Erziehung und Unterricht 2018/3+4
Bader-Zaar, Gleichberechtigte Wählerinnen? 187 Erziehung und Unterricht • März/April 3-4|2018 und Berufsmöglichkeiten sowie gleichen Lohn für gleiche Leistung bildete eine der Schwerpunkte sozialdemokratischer Forderungen. Weiters sollten sozialpolitische Refor- men wie ein umfassendes Sozialversicherungssystem, Schwangerschaftsurlaub und Kin- derbetreuungseinrichtungen die Reproduktionsarbeit und Doppelbelastung erleichtern. § 144 des Strafgesetzbuches über das Verbot der Abtreibung sollte abgeschafft werden, das Familienrecht in Hinblick auf die Gleichstellung der Frauen reformiert werden. Mit Aus- nahme der Abtreibungsfrage wurden viele dieser Forderungen von christlichsozialer und deutschnationaler Seite unterstützt, wenn es auch zu Interessenkonflikten hinsichtlich spezifischer Reformen kommen konnte, etwa in der Frage des Eherechts. Christlichsoziale Überzeugungen über die Unauflöslichkeit der Ehe standen sozialdemokratische und deutschnationale Initiativen zur Einführung der Zivilehe, die auch die Ehescheidung er- möglicht hätte, entgegen ( Harmat 1999). Zu den erfolgreichen Gesetzesanträgen gehörten die Sicherung des Unterhaltsanspruchs alleinerziehender Frauen (Lex Rudel-Zeynek 1925), das Verbot der Nachtarbeit für Frauen und Jugendliche in gewerblichen Betrieben, eine fi- nanzielle „Mutterhilfe“ für versicherte Arbeiterinnen (1921, 1927), die Regelung des Heb- ammenwesens (1924) sowie der Arbeitsbedingungen und Arbeitszeiten für Hausgehilfin- nen (1920, 1926) und ein Angestelltenversicherungsgesetz (1926), das mit seiner einheitli- chen Basis für die Pensionsversicherung das weitestgehende Gesetz Europas war, aller- dings arbeitslose Frauen gegenüber Männern hinsichtlich der Höhe der Unterstützung (80 %) benachteiligte. Zunehmende Marginalisierung von Frauen Dem Einsatz der weiblichen Abgeordneten standen die Bemühungen der Frauenorganisa- tionen aller Lager, einerseits Frauen für die Politik zu mobilisieren und andererseits ihre Parteien zur Vertretung ihrer Interessen zu gewinnen, gegenüber (Näheres bei Hauch 2009). Beides stieß in der kurzen Zeitspanne der eineinhalb Jahrzehnte der Ersten Republik auf erhebliche Schwierigkeiten. Die Sozialdemokratinnen machten etwa die dreifache Be- lastung als Mutter, Hausfrau und Erwerbstätige als besonderes Hindernis für Mobilisierung aus ( Arbeiterinnen-Zeitung , 21. 12. 1920, S. 5–6). Ihre Versuche, Frauen vermehrten Einfluss in der Partei zukommen zu lassen, scheiterten (vgl. dazu für die sozialdemokratische Seite z.B. Arbeiter-Zeitung , 14. 08. 1927, S. 3; Die Frau 1931, Jg. 40/1, S. 11f.; für die christlichsoziale Seite Frauen-Briefe 01. 12. 1930, 01. 01. 1931), wenn auch die Sozialdemokraten die einzige Partei waren, die die Abschaffung aller sozialen und gesetzlichen Beschränkungen für Frauen in ihr Parteiprogramm aufnahmen (1926). Dass nach den Nationalratswahlen 1927 keine Abgeordnete der sogenannten bürgerlichen Parteien dem Parlament angehörte, sich aber auch tiefe Gräben zwischen den Großparteien aufgetan hatten, die sich in bürger- kriegsähnlichen Zuständen äußerten, führten schließlich zur Initiative einiger liberaler Frauen, eine Österreichische Frauenpartei Ende 1929 zu gründen ( Bader-Zaar 2015, S.109- 111). Diese wandte sich gegen die Nichtbeachtung von Frauenforderungen in den Parteien und unterstrich die Notwendigkeit politischer Bildung für Frauen. U. a. gehörten die Re- form des Eherechts und die Anerkennung der Hausarbeit als Beruf zu ihren Zielen. Ihre Enttäuschung über Misserfolge sowohl bei der Unterstützung der Kandidatur von Johannes Schobers Nationalem Wirtschaftsblock als auch einer unabhängigen Kandidatur bei den Innsbrucker Gemeinderatswahlen von 1931 mündete schließlich in die Unterstützung der autoritären Regierung von Engelbert Dollfuß 1933/34 und damit eines undemokratischen Staats.
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