Erziehung und Unterricht 2018/3+4
186 Bader-Zaar, Gleichberechtigte Wählerinnen? Erziehung und Unterricht • März/April 3-4|2018 rende Nationalversammlung ein: die Sozialdemokratinnen Anna Boschek, Emmy Freund- lich, Adelheid Popp, Gabriele Proft, Therese Schlesinger, Amalie Seidel und Marie Tusch sowie die Christlich-Soziale Hildegard Burjan. Die Nationalratswahlen der Ersten Republik Hinsichtlich der Wahlbeteiligung von Frauen blieb diese nach dem Absinken auf 77,04 % 1920 relativ hoch und erreichte 1930 sogar 89 % ( Danneberg 1927, Tab. II, S. 6; Statistisches Handbuch 1931, S. 208). Geschlechtsspezifische Unterschiede bei der Wahlbeteiligung ver- ringerten sich nun, Frauen machten aber weiterhin die Mehrheit unter den Wählern aus, etwa 52-53 %. Allerdings sind bei diesen statistischen Angaben immer regionale Unter- schiede mit zu bedenken. Die Länder mit Wahlpflicht – Tirol und Vorarlberg – zeigten dem- gemäß eine hohe Wahlbeteiligung. Auch in Wien erreichte diese über 90 % in den meisten Wahlkreisen, während in manchen anderen Regionen, vor allem Burgenland, Kärnten und der Untersteiermark, bei Frauen ein geringeres Interesse am Wählen bestand, meist unter 80 %. Die Unsicherheit der Parteien über den ungewissen Effekt des Frauenwahlrechts auf ihre Wahlergebnisse blieb auch nach Vorstößen der Sozialdemokraten und Deutschnatio- nalen im Staatsrat im Dezember 1918 bestehen. Hier hatten diese verschiedenfarbige Stimmzettel oder Kuverts bzw. unterschiedliche Wahlurnen für jedes Geschlecht verlangt, was aber damals von den Christlichsozialen noch als „Durchbrechung des Wahlgeheimnis- ses“ abgelehnt worden war (ÖStA, AdR, BKA Staatsratsprotokolle, K. 3, Protokoll Nr. 53 v. 03. 12. 1918, Sitzungsprotokoll, S. 27). 1920 schrieb dann allerdings eine Verordnung die Abgabe der Stimme in verschiedenfarbigen Kuverts vor – hellgrau für Männer und blaugrau für Frauen (StGBl. 1920, Nr. 352, §59). 1923 wurde dann endgültig die getrennte Stimmenzäh- lung von Männern und Frauen festgelegt (BGBl. 1923, Nr. 367, § 64), so dass wir für die Na- tionalratswahlen der Ersten Republik über statistisches Material zum Abstimmungsverhal- ten verfügen. Dieses bestätigte in Zahlen die Befürchtungen der Sozialdemokraten, Frauen würden mehrheitlich konservativ wählen, und schrieb die Homogenisierung der Wählerin- nen fort (Näheres Danneberg 1927, S. 12-14; Statistisches Handbuch 1931, S. 210; siehe dazu auch Gehmacher 2009, S. 148). Wieder ergibt ein genauerer Blick auf die regionale Ebene ein differenzierteres Bild: So stimmten 1927 und 1930 mehr als zwei Drittel der Wählerin- nen in Tirol und Vorarlberg für konservative Parteien, 57-58 % in Wien aber für die Sozial- demokraten. Vor allem aber ignorierte das Interesse an der parteipolitischen Zuordnung der Frauenstimmen Differenzierungen nach anderen sozialen Kategorien als Geschlecht sowie allgemein spezifische Faktoren. Frauen im Nationalrat Die Zahl der in den Nationalrat gewählten Frauen war, wie in anderen Ländern auch, ge- ring. Ihr höchster Anteil an den Abgeordneten erreichte 6,7 % ( Hauch 1995, S. 92; Bader- Zaar 1996, S. 71). Überwiegend waren sie Sozialdemokratinnen, selten Christlichsoziale. Außerdem nahm in zwei Sessionen je eine Großdeutsche einen Sitz ein. Die Christlichsozi- ale Olga Rudel-Zeynek war die einzige Frau in einer parlamentarischen Spitzenposition: 1927/28 sowie 1932 leitete sie den Bundesrat. Die Parteien förderten weibliche Politikerin- nen nicht – von entscheidendem Einfluss und Macht blieben Frauen in allen Lagern weit- gehend ausgeschlossen. Die weiblichen Abgeordneten setzten sich vor allem im Bereich der Familien- und Sozi- alpolitik für Frauen ein und versuchten, die Ziele der Frauenbewegungen zu realisieren ( Hauch 1995). Ihre ökonomische Unabhängigkeit durch den gleichen Zugang zu Bildungs-
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