Erziehung und Unterricht 2018/3+4

Bader-Zaar, Gleichberechtigte Wählerinnen? 185 Erziehung und Unterricht • März/April 3-4|2018 seien, gesehen ( ÖStA , AdR , BKA Staatsratsprotokolle , K. 3, Protokoll Nr. 53 v. 03. 12. 1918, Sit- zungsprotokoll, S. 15-16, 18). Sozialdemokraten warfen den Christlichsozialen hingegen vor, dass sie „diese neuen Wählermassen durch den Einfluß der Kirche, des Beichtstuhls und aller Ausrüstungen, über die der Klerikalismus gebietet, in ihre Netze […] ziehen“ wollten ( Arbeiter-Zeitung , 8. 12. 1918, S. 1). Im Staatsrat beendete Renner dann diese Debatte, in- dem er darauf hinwies, dass die Sozialdemokratie im Rahmen der Parteienkoalition bereits viele Ziele habe zurückstellen müssen. Es drohe ein Arbeiteraufstand, sollte noch mehr ge- fordert werden ( ÖStA , AdR , BKA Staatsratsprotokolle , K. 3, Protokoll Nr. 53 v. 03. 12. 1918, Sitzungsprotokoll, S. 19-20). Renner gelang es damit, die Zurückziehung des Antrages auf Wahlpflicht zu erreichen. Nach weiteren Debatten in der Provisorischen Nationalver- sammlung wurde sie schließlich der Landesgesetzgebung überlassen und dann in Tirol und Vorarlberg eingeführt. In der Parteienkoalition bestand jedoch Konsens über den Ausschluss einer spezifischen Gruppe von Frauen vom Wahlrecht, nämlich der Prostituierten. Dieser Ausschluss wurde ohne weitere Debatte als „notwendig und selbstverständlich“ erachtet ( Beilagen , Nr. 77, S. 5). Da das Bundesverfassungsgesetz 1920 festsetzte, dass nur eine gerichtliche Verurtei- lung oder Verfügung zum Ausschluss vom Wahlrecht führen könne, wurde diese Maß- nahme schnell obsolet (vgl. auch Strejcek 2009, S. 16 Anm. 57). Politische Partizipation von Frauen in der Ersten Republik Die Wahl der Konstituierenden Nationalversammlung am 16. Februar 1919 Frauen als Kollektiv standen dann auch bei den Vorbereitungen für die Wahlen der Konsti- tuierenden Nationalversammlung am 16. Februar 1919 im Brennpunkt, gleichzeitig wurden sie aber auch differenziert gedacht. Als neue Wählerinnengruppe sollten sie über ihre poli- tischen Rechte aufgeklärt werden und ein Grundwissen über Politik erhalten – im Rahmen von Frauenversammlungen und an Frauen gerichteten Zeitungen. Der Bund Österreichi- scher Frauenvereine, der nach außen hin parteipolitisch neutral auftrat, richtete in Wien eine Zentralstelle für die Wahlarbeit der bürgerlichen Frauen ein. Die Wahlwerbung der Parteien sprach Frauen vor allem in ihrer Rolle als Ehefrauen und Mütter an. So wurden deren Entbehrungen und familiale Rolle während des Krieges von den Sozialdemokraten in den Mittelpunkt gerückt. Seitens der Christlichsozialen wurde vor tiefgreifenden gesellschaftlichen Umbrüchen durch eine Reform des Eherechts gewarnt. Die Bürgerlich-demokratische Partei nahm hingegen unterschiedliche „Typen“ in den Fo- kus, darunter auch die moderne, selbständige Frau. Diese und die anderen liberalen Split- terparteien wurden zu einem Sammelbecken von Aktivistinnen der liberal orientierten Frauenbewegung und vertraten deren Forderungen. Frauen konnten jedoch von den Par- teien nicht nur hinsichtlich ihrer sozialen Rollen differenziert werden, sondern wurden auch nach ihren politischen Überzeugungen adressiert, als christliche, deutschnationale oder proletarische Frauen (Näheres Gehmacher 2009, S. 146f.). Inwieweit die Informationskampagnen tatsächlich auf die Wählerinnen einwirkten, ist heute nicht mehr nachvollziehbar. Tatsächlich war aber die Wahlbeteiligung bei dieser ers- ten Wahl der Republik hoch – 82,1 % bei den weiblichen und knapp 87 % bei den männli- chen Wahlberechtigten ( Danneberg 1927, Tab. II, S. 6). Für die SozialdemokratInnen brachte sie einen Triumph, nicht jedoch für die liberale Frauenbewegung, denn die liberalen Split- terparteien erreichten mit Ausnahme der Bürgerlich-demokratischen Partei kein Mandat. Von den insgesamt 115 kandidierenden Frauen (vgl. KandidatInnenlisten in Neue Freie Presse , 14. 02. 1919, Wahlblatt, S. 5-11; 15. 02. 1919, S. 5-8) zogen 1919 acht in die konstituie-

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