Erziehung und Unterricht 2018/3+4
184 Bader-Zaar, Gleichberechtigte Wählerinnen? Erziehung und Unterricht • März/April 3-4|2018 in der Provisorischen Nationalversammlung auf die Leistungen der Frauen im Krieg hin, denen „selbstverständlich […] durch die Heranziehung der Frauen im öffentlichen Leben Rechnung [zu] tragen“ sei ( Stenographische Protokolle , Bd. 1, S. 321, 18. 12. 1918). Sehen wir uns aber die Debatten über die Wahlordnung für die konstituierende Natio- nalversammlung genauer an, so wird deutlich, dass die Frage der Kriegshilfe kaum eine Rolle spielte. Im Vordergrund stand das Unbehagen über die Zulassung der Frauen als große Wählerinnengruppe, von der man nicht wusste, wie sie wählen würde, und die zu- dem aufgrund der vielen gefallenen Soldaten die Mehrheit unter den Wählenden aus- machte – fast 54 % der dreieinhalb Millionen Wahlberechtigten, wie sich bei den ersten Wahlen 1919 herausstellte. Das Frauenwahlrecht wurde also, wie auch in anderen Ländern, als „Sprung ins Ungewisse“ wahrgenommen ( ÖStA , AdR , BKA Staatsratsprotokolle , K. 3, Pro- tokoll Nr. 53 v. 03. 12. 1918, Sitzungsprotokoll, S. 18). Trotz Vorbehalten in den eigenen Reihen waren die Sozialdemokraten die treibende Kraft für die Umsetzung der Forderung nach politischer Gleichberechtigung. Die Christ- lichsozialen fanden sich nun damit ab. Auch die Deutschnationalen lenkten großteils ein, allerdings unter Protest, wie es etwa Karl Hermann Wolf formulierte, „im Namen der ge- sunden Vernunft und der heiligen, unverletzlichen Natur“ ( ÖStA , AdR , BKA Staatsratsproto- kolle , K. 3, Protokoll Nr. 53 v. 03. 12. 1918, Sitzungsprotokoll, S. 8-9, auch 15). In den Debatten des Staatsrats war es Karl Renner, der das demokratische Frauenwahlrecht forcierte. Wie er sich rückblickend 1929 erinnerte, war es seine Strategie, „von der Sache wenig Aufhe- bens“ zu machen und sie „als Selbstverständlichkeit, als einfaches Ergebnis unserer grund- sätzlichen Auffassung“ hinzustellen, womit auch der Widerstand in den eigenen Reihen der Sozialdemokraten überwunden werden sollte. Einige Parteigenossen hätten immer noch „ernste Bedenken [gehabt], daß die Frauen zu sehr unter dem Einfluß überlieferter Denk- weise und insbesondere des Klerus stünden und der Erfolg der Revolution durch ihre Teil- nahme am politischen Leben in Frage gestellt werden könnte“ ( Renner 1975, S. 307f.). Ein Rückzug der Sozialdemokraten von ihrem Parteiprogramm kurz vor den Wahlen hätte sie aber als unglaubwürdig erscheinen lassen. Zudem drängten die weiblichen Parteimitglie- der auf dessen Realisierung. Manipulationsversuche Auch wenn die Christlichsozialen und Deutschnationalen das Frauenwahlrecht als solches nun großteils hinnahmen, versuchten sie dennoch dessen ungewisse Folgen durch Mani- pulationen an den Bestimmungen der Wahlordnung zu ihren Gunsten abzufedern. Frauen wurden als konforme Gruppe wahrgenommen, von der etwa der Deutschnationale Rudolf Heine erwartete, dass sie „mit eigenen Frauenlisten in den Wahlkampf eintreten, und dann […] die Männer ganz und gar aus dem Parlament hinauswerfen, weil sie tatsächlich die Mehrheit haben“ ( ÖStA , AdR , BKA Staatsratsprotokolle , K. 3, Protokoll Nr. 53 v. 03. 12. 1918, Sitzungsprotokoll, S. 12). Daher schlug er vor, statistische Erhebungen über die Zahl der Wahlberechtigten einzuholen, damit die Altersgrenze des Wahlrechts für Frauen so fest- gelegt werden könne, dass sie und die Männer in gleicher Zahl wahlberechtigt würden. Eine andere Variante der Quasi-„Entschärfung“ des Frauenwahlrechts war, das aktive Wahl- recht erst ab 24 Jahren zu erteilen, wobei aber Soldaten, die eine Tapferkeitsauszeichnung erhalten hatten, ab dem 20. Lebensjahr wählen sollten. Keiner dieser Anträge setzte sich durch. Besonders hartnäckig verfochten Christlichsoziale und Deutschnationale die Einführung der Wahlpflicht als Junktim zum Frauenwahlrecht, mit der Begründung, dass sonst nur ra- dikale und kaum konservative Frauen wählen würden. Die Wahlpflicht wurde als ein „Er- ziehungsmittel für jene Wähler […], die bisher nicht im politischen Leben gestanden“
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