Erziehung und Unterricht 2018/3+4
182 Bader-Zaar, Gleichberechtigte Wählerinnen? Erziehung und Unterricht • März/April 3-4|2018 Birgitta Bader-Zaar Gleichberechtigte Wählerinnen? Summary: Mit der Ausrufung der Ersten Republik traten Wählerinnen erstmals mit den Männern gleichberechtigt in Erscheinung. Dafür waren weniger die Anerkennung des patriotischen Einsatzes der Frauen in der Kriegshilfe verantwortlich, als vielmehr ver- änderte politische Umstände, die es den Verantwortlichen der Sozialdemokratischen Par- tei erlaubte, das Frauenwahlrecht ohne Einschränkungen durchzusetzen. Die neue Wäh- lerinnengruppe als Kollektiv, die die Mehrheit unter den Wahlberechtigten ausmachte, verursachte allerdings unter allen Parteien Unbehagen. Vor allem sollte ihnen nicht zu viel Einfluss in der Politik eingeräumt werden. Die politisch aktiven Frauen fühlten sich zunehmend marginalisiert. Einleitung Mit dem Durchbruch der Demokratie im November und Dezember 1918 erhielten Frauen im Raum der neugegründeten Republik erstmals auf allen Mitbestimmungsebenen gleiche politische Rechte. Am 16. Februar 1919 wurde die erste freie und gleiche Wahl des neuen Staates (Deutsch-)Österreich abgehalten. Viele nutzten das – seit Jahrzehnten geforderte – Recht: 82,1 % der wahlberechtigten Frauen gaben ihre Stimme ab. Es kandidierten 115 Frauen, acht davon zogen schließlich in die Konstituierende Nationalversammlung ein. Im Folgenden soll auf die Umstände der Einführung des allgemeinen und gleichen Frauenwahlrechts Ende 1918 näher eingegangen und danach gefragt werden, wie in politi- schen Gremien über die kollektive Gruppe „Frauen“ und Stimmrecht debattiert wurde. Die Partizipation von Frauen bei Wahlen im Laufe der Ersten Republik, ihre Repräsentation im Nationalrat sowie ihre Erwartungen an Teilhabe an Politik, die in den Krisenzeiten gegen Ende der Republik zunehmend marginalisiert wurden, bilden weitere Themen dieses Bei- trags. Die Einführung des Frauenwahlrechts 1918 1 Das Gesetz über die Staats- und Regierungsform Deutschösterreichs vom 12. November 1918 bedeutete nicht nur in Hinblick auf die Gründung der Republik einen radikalen Bruch mit der Habsburgermonarchie, sondern auch für das Wahlrecht. In Artikel 9 wurde die Wahl einer konstituierenden Nationalversammlung angekündigt, die auf Basis der Verhält- niswahl und des allgemeinen, gleichen, direkten und geheimen Stimmrechts aller Staats- bürger ohne Unterschied des Geschlechts abgehalten werden sollte (StGBl. 1918, Nr. 5). Die entsprechende Wahlordnung wurde am 18. Dezember 1918 von der Provisorischen Natio- nalversammlung angenommen (StGBl. 1918, Nr. 115). Die gleichen Grundsätze sollten auch auf den Landes- und kommunalen Ebenen gelten, für die die Länder 1919 entsprechende Wahlordnungen entwickelten. Bereits am 30. Oktober 1918 wurde zudem das Verbot der
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