Volkswirtschaft gestalten, Schulbuch

290 Probleme und Risiken von Keynes’ Theorie Auch Keynes’ Theorie ist kein einfacher Weg zu allgemeinem Wohlstand. Manche Risiken sind quasi Bestandteil der Theorie (Liquiditätsfalle, Investitionsfalle, Crowding Out) und wurden auch von Keynes gesehen, andere können durch unsachgemäße Umsetzung der Theorie in die Praxis entstehen. Liquiditätsfalle: Im Normalfall wird eine Erhöhung der Geldmenge zu sinkenden Zinsen führen. Sind die Wirtschaftssubjekte jedoch – z. B. durch eine plötzliche große Erhöhung der Geldmenge – verunsi- chert oder erwarten sie ein künftiges Ansteigen der Zinsen (und somit bessere Erträge bei Veranla- gung zu einem zukünftigen Zeitpunkt), kann es geschehen, dass die Liquiditätspräferenz steigt und die zusätzliche Geldmenge zur Gänze als Vorsichts- oder Spekulationskasse gehalten wird. In solch einer Situation führt eine Erhöhung der Geldmenge ausnahmsweise nicht zu einem Sinken der Zinsen. Investitionsfalle: Im Normalfall führen sinkende Zinsen dazu, dass kreditfinanzierte Investitionen loh- nender werden und daher mehr Investitionen getätigt werden. Wenn jedoch seitens der Unterneh- mer/innen (z. B. aufgrund von Konsumflaute, Pessimismus) nur eine geringe Rendite auf ihre Investi- tionen erwartet wird, so werden auch sinkende Zinsen nicht zu mehr Investitionen führen. Im Extremfall könnten die ständig fallenden Zinsen von den Wirtschaftssubjekten sogar als Zeichen einer schweren Krise (miss)verstanden werden und den Pessimismus schüren. Es handelt sich hierbei um ein besonders ernstes Problem, da die Zinsen nicht beliebig, ja nicht einmal auf den Wert „0“, sinken können. Auch dieses Problem seiner Theorie hatte Keynes durchaus erkannt und davor gewarnt, nur die geld- politische Seite seiner Theorie zu beachten. Den staatlichen Investitionen kommt auch die Aufgabe zu, Optimismus zu verbreiten, um so der Investitions- und Liquiditätsfalle zu entgehen. Crowding Out: Keynes’ Theorie verlangt vom Staat, so er in guten Zeiten nicht ausreichend vorgesorgt hat, die Aufnahme von Staatsschulden. Dies erfolgt vor allem durch die Ausgabe von Staatsanleihen, die meist festverzinslich sind. Da der Staat im Vergleich zu privaten Unternehmern und Unternehme- rinnen meist als Schuldner mit höherer Bonität gilt, müssen letztere die staatlicherseits gewährten Zinsen überbieten, um (Fremd-)Kapital aufnehmen zu können. Manchen Unternehmern und Unter- nehmerinnen wird dies jedoch nicht gelingen, weswegen deren Investitionen ausbleiben. An die Stel- le dieser (ausgebliebenen) privaten Investitionen sind Staatsschulden getreten. Man kann es auch anders formulieren: Die Aufnahme von Staatsschulden vermindert die gesamten Ersparnisse einer Volkswirtschaft, weswegen (jedenfalls in einer geschlossenen Volkswirtschaft) auch weniger Investitionen getätigt werden können. Befürworter/innen von Keynes’ Theorie argumentie- ren jedoch, dass die Vorteile für die Volkswirtschaft aus den staatlichen Nachfrageimpulsen gegen- über einem allfälligen Schaden aus dem „Crowding Out“ bei Weitem überwiegen. Umsetzungsprobleme: Keynes hatte bei seiner Theorie vor allem die Great Depression vor Augen, sein Lösungsrezept war daher für entsprechend schwere Krisen gedacht. In der Realität der Politik wurden allerdings weitverbreitet zwei Fehler begangen: Einerseits wurde Keynes’ Rezept zu oft, d. h. auch bei leichten Konjunkturrückgängen, angewandt, andererseits wurde darauf „vergessen“, allfällige Schul- den in den folgenden guten Zeiten wieder abzubauen. Ergebnis war ein stetiges Ansteigen der Staats- schulden. Zudem stieg die Inflation scheinbar unaufhaltsam an: In den USA lag sie 1979 bei rund 12 %, in Öster- reich wurde der Spitzenwert 1974 erreicht: 9,5 % Inflation. Vor allem die Inflation führte schließlich dazu, dass immer mehr Ökonomen von Keynes’ Theorie enttäuscht waren und neue Lösungsansätze suchten. 1965 war der Keynesianismus zum Mainstream geworden, John Maynard Keynes wurde post- hum ein Held. Das TIME Magazine würdigte Keynes und zitierte dabei einen Ökonomen: „We’re all Keynesians now ...“ – Milton Friedman 1 . 1 Angeblich wurde Friedmans Aussage durch verkürzte Wiedergabe sinnentstellt und soll richtig ungefähr gelautet haben: „In one sense we are all Keynesians now, but in another sense no one is a Keynesian any longer.“ Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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