Volkswirtschaft gestalten, Schulbuch

188 2.5 Beschränkungen der Konjunkturpolitik In der Realität ist die Konjunkturpolitik ei- ner Reihe von Be- schränkungen unter- worfen. Konvergenzkriterien der europäischen Wirtschafts- und Wäh- rungsunion (WWU): Die Teilnehmerstaa- ten des Euro müssen die Kriterien des Stabilitäts- und Wachstumspakts erfüllen. Vor allem die Beschränkung der Neuver- schuldung (max. 3 % des BIPs) und der gesamten Staatsverschuldung (max. 60 % des BIPs) stellen für die meisten EU-Staaten de facto enge Schranken für eine antizyklische Konjunkturpolitik dar. Verdrängungseffekt : Die Verdrängung privater Nachfrage durch Staatsnachfrage (engl.: crowding-out- effect) kann im Wesentlichen durch vier Kanäle geschehen. 1. Kreditfinanzierte Staatsausgaben lösen auf dem Kapitalmarkt einen Anstieg der Zinsen aus, wo- durch die private Kreditnachfrage zur Finanzierung von Investitionen zurückgeht. 2. Die gestiegene Staatsnachfrage kann zu einem Anstieg des Preisniveaus führen, wodurch die Kauf- kraft und das Geldvermögen der Haushalte sinken. Die Haushalte könnten in Folge versuchen, durch vermehrtes Sparen diesen Vermögensrückgang auszugleichen. 3. Exporte können ebenfalls vom „Crowding Out“ betroffen sein. Bei fixen Wechselkursen verschlech- tert ein Anstieg des Preisniveaus im Inland die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen. Bei flexib- len Wechselkursen können höhere inländische Zinsen die Kapitalimporte ansteigen lassen und so- mit Aufwertungstendenzen zur Folge haben, die ebenfalls die Wettbewerbsfähigkeit inländischer Unternehmen im Ausland beeinträchtigen würden (vgl. Thema Internationale Wirtschaft). 4. Aufgrund der hohen Importquote Österreichs (kleine offene Volkswirtschaft) kann ein nicht unwe- sentlicher Teil der zusätzlichen Staatsausgaben direkt ins Ausland abfließen. Mangelnde Koordination: Eine effektive antizyklische Konjunkturpolitik erfordert die Koordination von Fiskal- und Geldpolitik. Da die Geldpolitik auf europäischer Ebene für das gesamte Eurogebiet gestal- tet wird, die Fiskalpolitik jedoch von den einzelnen Staaten selbst bestimmt wird, ist eine optimale Koordination nicht immer möglich. Der europäische Stabilitäts- und Wachstumspakt soll diese Abstim- mung verbessern. Innerstaatlich ist besonders die Abstimmung des Verhaltens zwischen Bund (v. a. Steuerpolitik), Bundesländern und Gemeinden (entscheiden unabhängig vom Bund über viele Bauvor- haben) schwierig. Zielkonflikt Inflation – Beschäftigung: Kurzfristig kann es zu einem Zielkonflikt zwischen einer gerin- gen Inflationsrate und einem hohen Beschäftigungsniveau kommen (Phillipskurve). Eine kurzsichtige Geldpolitik könnte gewillt sein, durch eine überraschend hohe Inflation die Reallöhne zu senken und damit das Ziel einer geringeren Arbeitslosenquote zu erreichen. Nachdem dieser „Strohfeuereffekt“ verloschen ist, wird die Arbeitslosigkeit jedoch mittel- bis langfristig zu ihrem ursprünglichen Niveau, welches sich vor allem durch strukturelle und friktionelle Komponenten bestimmt, zurückkehren, so- dass nur die gestiegene Inflation übrig bleibt. Der Zusammenhang zwischen Arbeitslosigkeit und Inflation wurde 1958 vom englischen Ökonomen A. W. Phillips entdeckt. Bereits 1968 bewiesen die US-Ökonomen Milton Friedman und Edmund Phelps, dass Inflation in Wirklichkeit kein Mittel gegen Arbeitslosigkeit ist. Zeitliche Verzögerungen: Kritiker/innen einer antizyklischen Konjunkturpolitik sind der Meinung, dass aufgrund verschiedener zeitlicher Verzögerungen (engl.: time-lags) eine solche Konjunkturpolitik de facto prozyklisch wirkt, d. h., die Schwankungen verstärkt. Dies wird dadurch begründet, dass (a) die Erkenntnis der derzeitigen Konjunkturphase und Notwendigkeit zum Gegensteuern, (b) das Tref- fen von Entscheidungen, (c) die Umsetzung von Entscheidungen und (d) die Entfaltung der gewünsch- ten Wirkungen eine bestimmte Zeit benötigen. Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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