Volkswirtschaft gestalten, Schulbuch

134 TO-DO-ÜBUNG: Sozialpolitik im Diskurs Debattierthema: Dieses Haus glaubt, dass der Sozialstaat nicht abgebaut werden soll. Der Sozialstaat steht unter Reformdruck. Tiefgreifende soziale, wirtschaftliche und politische Verände- rungen stellen die Sozialpolitik in einen neuen Handlungsrahmen. Die beobachtbaren Schwierigkei- ten bei der Finanzierung für einen umfassenden Sozialschutz führen dazu, dass wichtige Pfeiler des Sozialstaats brüchig werden. Wie können soziale Gerechtigkeit und Sicherheit in unserer Gesellschaft umgesetzt werden? Welche Funktion soll der Sozialstaat in der Zukunft einnehmen? Bearbeiten Sie die Materialien, nutzen Sie dazu die TOOL BOX 4. Der Sozialstaat und die soziale Gerechtigkeit?! In einer idealtypischen markt- wirtschaftlichen Ordnung hat jeder den Anreiz, entweder das zu produzieren, was er braucht, oder das, was er bei anderen günstig verkaufen kann. In letzterem Falle muss man sich an den Bedürfnis- sen der Mitmenschen orien- tieren, also im eigenen Inte- resse „fast“ wie ein Altruist handeln. In der Politik – das gilt auch in der Demokratie – zwingt nichts eigennützige Mehrheiten oder Politiker, die Interessen von Minderheiten zu achten. Vielmehr können sich sogar Minderheiten ge- genüber rational ignoranten Mehrheiten durchsetzen (z. B. wird die Debatte zur Pensi- onssicherung häufig gegen die Interessen der nachrückenden Generationen geführt). Der demokratische Sozial- staat schafft Anreizprobleme. Grundgedanken sind die Be- lastung der Leistungsfähigen bzw. Besserverdiener und Transfers an die Bedürftigen. Solche Transfers untergraben die Arbeitsbereitschaft der Bedürftigen.Wer Leistung mit Abgaben bestraft und Nicht- Leistung mitTransfers belohnt, sollte sich nicht wundern, wenn die Menschen lernfähig reagieren. Was manche Sozi- alwissenschaftler „post-ma- terialistische Werte“ nennen, ist eine Verantwortungsscheu, wie sie reiche Abgaben- und Sozialstaaten erzeugen. Die Sicherheit der Eigen- tumsrechte, die wirtschaftli- che Freiheit und die Grenzen für die Staatstätigkeit haben im 19. und 20. Jahrhundert die Voraussetzungen für die Überwindung der Massen- armut im Westen geschaffen. Die reichen Länder Mittel- europas müssen sich heute dem verschärften globalen Wettbewerb stellen oder langsam in der Mittelmäßig- keit versinken. Sie müssen wieder Arbeitsfreude schaf- fen – durch Abgabensenkung und Kürzung von Sozialleis- tungen. Unsere Gesellschaft muss sich von der illusionä- ren sozialen Gerechtigkeit, vor der der Nobelpreisträger Hayek schon vor Jahrzehnten gewarnt hatte, verabschieden und wieder lernen, Ungleich- heiten hinzunehmen. Nach dem Ökonomen Barro trägt in armen Ländern die Gleich- heit der Einkommensvertei- lung, in reichen Ländern aber die Ungleichheit zum Wachs- tum bei. Die scheinbare soziale Ge- rechtigkeit bedeutet erstens das Gegenteil von Generati- onengerechtigkeit und nimmt unseren Ländern die Zukunft, sie macht zweitens die Ab- stände zwischen den Löhnen der Wenigqualifizierten und der Arbeitslosenunterstützung so geringfügig, dass man sich wundert, dass es überhaupt noch fleißige Wenigqualifizier- te gibt, sie vertreibt drittens Leistungsträger aus Europa. Letzten Endes leidet Europa an einer Legitimationskrise des Kapitalismus. Die vor Jahrhunderten ab- solutistisch regierten Gesell- schaften Kontinentaleuropas mit ihren ausgebauten Be- amtenapparaten sind nach der Abdankung der Fürsten und Könige ihrer Tradition an Staatsgläubigkeit treu geblie- ben. Ohne die Überwindung dieser Staatsgläubigkeit und einem klaren Bekenntnis zur Marktwirtschaft werden die Probleme des Sozialstaates nicht gelöst. Barbara Kolm, Hayek Institut Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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