Lasso Lesebuch 4, Schulbuch [Lesespaß]
44 Geheimnisvoll LE ▶ 2.1, 2.2, 3.6, 3.7, 6.2, 7.2 ▶ Lesetraining, Seite 38 Er wollte sie fragen, was sie denn hier täten zu dieser Stunde, denn es war die Stunde zwischen zwölf Uhr Mitternacht und ein Uhr morgens. Aber noch ehe er den Mund auftun konnte, wandten sich ihm alle Gesichter zu und blickten ihn an, als wäre er, ihr Pfarrer, ein Störenfried, und dazu legten sie den Finger auf die Lippen. Gleich darauf blickten sie wieder alle nach dem greisen Priester am Altar, der ihnen bisher den Rücken gekehrt hatte, und der wandte sich um. Sein Blick traf den Pfarrer von St. Stephan, und dieser erkannte plötzlich, dass er selber es war, der vorne am Altar stand und die Messe mitter- nächtlich zelebrierte. Im nächsten Augenblick schlug die Glocke eins. Da war die Kirche leer und die Kerzen waren tot, als hätte einer mit einem riesigen Kerzenhütchen alle auf einmal ausgelöscht. Da ging der Pfarrer nach draußen und sperrte die Kirche ab. Als er nun langsam über den Friedhof schritt, war der Mond schwarz verhangen und es war auch kein Stern zu sehen. Das einzige Licht weit und breit schimmerte vom Stübchen des Pfarrhofs herüber, in dem der Pfarrer noch kurz zuvor an seiner Predigt geschrieben hatte. Der Pfarrer ging ins Pfarrhaus zurück, setzte sich an den Tisch und wollte die Predigt zu Ende bringen, aber er wusste nicht, wie. Da stand er auf und holte die Chronik und schrieb darein, dass er sich selbst zur Gespensterstunde eine Messe vor seiner Gemeinde hatte lesen sehen. Dazu schrieb er alle Namen der Personen, die er in dieser Messe erkannt hatte, und das waren sehr viele. Das Jahr nach dieser seltsamen Begebenheit im Stephansdom zu Wien war das Jahr 1364, und es war ein Pestjahr. Und es starben alle, die der Pfarrer im Dom gesehen und in seiner Chronik verzeichnet hatte, und auch er selber. Friedl Hofbauer 30 35 40 45 50 55 60 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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