Deutsch Sprach-Lese-Buch 3, Begleitband für Lehrerinnen und Lehrer

Was heißt „Lesen“? Beim Lesen greifen zahlreiche Teilprozesse ineinander, bis vom geschriebenen Wort auf dem Papier ein geistiges Abbild des Inhalts bei einem Leser bzw. bei einer Leserin entstanden ist. Texte regen kognitive Prozesse an. Beim Vorgang des Lesens nehmen Lesende die Einfälle, die in Texten enthalten sind auf, sie sammeln diese Ideen und bereichern damit ihre Denk- und Vorstellungswelt. Für Kinder sind „Leseerfahrun- gen“ somit ein wichtiger Aspekt in Bezug auf ihre Denk- und Persönlichkeitsentwicklung. Am Leseprozess können sich auch weitere Personen beteiligen: die Lehrperson, die interessiert nachfragt, Geschichten vorliest und damit an den Leseerfahrungen ihrer Schülerinnen und Schüler teilnimmt, andere Kinder in der Klasse, die sich zum Beispiel einen Ausschnitt erzählen lassen oder gemeinsam Fragen zu einem Text beantworten. Lesen stellt zunächst hohe Anforderungen an das einzelne Kind als Leserin bzw. als Leser. Folgende Teilfähigkeiten bzw. Fähigkeiten sind erforderlich:  11 • Verknüpfung von Schriftzeichen, Wörtern und Sätzen. • Zuordnung von Sinn zu den einzelnen Textteilen. • Erkennen von Textteilen in einer sach- und textlogischen Folge. • Verknüpfung der Information aus dem Text mit eigenen Erfahrungen. • Verständliche Textteile erkennen, in einen Sinnzusammenhang bringen, anschließend jene Lücken schlie- ßen, die sich aufgrund der schwierigen, d. h. noch unverständlichen Textstellen oder mit schwierigen Wörtern ergeben haben. • Texte, die Bilder, Grafiken und Tabellen enthalten, also nicht linear aufgebaut sind, müssen entsprechend „anders“ gelesen werden, d. h. Zahlen und Wörter müssen sinnvoll aufeinander bezogen werden. • Reflektierendes Lesen, d. h. es muss entschieden werden, ob das Gelesene als richtig oder falsch beurteilt werden muss. • Das Gelesene muss in Erinnerung behalten werden, um es mit anderen Texten vergleichen zu können, deren Lektüre schon länger zurückliegt. Leseerfahrungen verbinden sich so zu einer Erfahrungskette, auf die Kinder als Leserinnen und Leser bewusst oder auch unbewusst zurückgreifen. Lesen erfordert also viele Teilkompetenzen , die in unterschiedlicher Zusammensetzung gebraucht werden. Je nach Textsorte wird eine unterschiedliche Lesart verwendet, z. B: • Wer eine längere Geschichte liest, muss Informationen zu Personen und Handlungen über viele Seiten hinweg im Gedächtnis behalten und sie zum richtigen Zeitpunkt im Geschichtenverlauf mit den neuen Ereignissen in Zusammenhang bringen. Auf diese Weise sind die Handlung und auch die Spannung beim Lesen in Erfahrung zu bringen. • Wer einen Sachtext mit Grafiken, erklärenden Bildlegenden oder Skizzen liest, muss die Aussagen, die an verschiedenen Stellen im Text enthalten sind, in einen logischen und angemessenen Zusammenhang bringen. • Das Lesen eines Witzes erfordert, dass die knapp enthaltene Information vollständig aufgenommen und in einen Lebenszusammenhang gebracht wird. So wird die Pointe verständlich. Kinder brauchen demnach viele Leseerfahrungen mit unterschiedlichen Textsorten, d. h. mit einer Vielfalt an Lektüre. Je nach Leseinteressen werden sie die eine oder andere Textsorte besser bewältigen, ein Schwer- punkt im eigenen Leserepertoire kann sich herausbilden. Schwerpunktsetzungen in diesem Sinne sind wichtig, weil die Kinder als heranwachsende Leserinnen und Leser ihre Vorlieben entdecken können und entwickeln und pflegen müssen, damit sie ein stabiles Interesse am Lesen aufbauen können. 11 Vgl. Bertschi-Kaufmann 2006, S.10 40 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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