Sexl Physik 5 RG, Schulbuch

127.1 Die Luftverflüssigungsanlage von C ARL VON L INDE (1842–1934). Linde stellte erstmals im Jahr 1895 durch Anwendung des Joule-Thom- son-Effekts größere Mengen flüssige Luft her. Stickstoff wird unter normalem Atmosphären- druck bei 77 K (−196 °C) flüssig, Sauerstoff bei 90 K (−183 °C). Drossel p V 1 1 · p V 2 2 · v T   127.2 Der Joule-Thomson Effekt: Die Drossel bewirkt eine Druckerniedrigung. Bei der Expansion verrichten die Moleküle von nicht-idealen Gasen gegen die anziehenden zwischenmolekularen Kräfte Arbeit: Die kine- tische Energie und damit die Temperatur nehmen ab. Der Effekt ist die Grundlage der Verflüssigung bei tiefen Temperaturen, ist aber auch im Kühlschrank durch die Drossel realisiert. 127.3 Ein Gummischlauch wird 30 Sekunden in flüssigen Stickstoff getaucht. Der Schlauch lässt sich anschließend leicht mit einem Ham- mer zerschlagen. 5.4 Die Jagd nach dem absoluten Nullpunkt Wie weit lässt sich ein Körper abkühlen? Die Vorhersage einer tiefstmöglichen Temperatur von −273,15 °C stellte eine Herausforderung für die Experimental- physik dar. Zahlreiche Forschergruppen versuchten, dem absoluten Nullpunkt möglichst nahe zu kommen. Im 21. Jh. ist man dem Ziel auf weniger als ein Nano- kelvin nahe gekommen. Es gelang, alle Gase sowohl zu verflüssigen als auch in den festen Zustand überzu- führen. Dafür gibt es zwei Methoden: Bei der adiabatischen Kühlung von Gasen lässt man Gas in einem wärmeisolierten Zylinder expandieren, wobei das Gas wie in einer klassischen Dampfmaschine ei- nen Kolben verschiebt oder eine Gasturbine antreibt. Dabei verrichtet es Arbeit gegen einen äußeren Druck , und seine innere Energie nimmt ab – das Gas kühlt ab. Wiederholt man die Expansion mehrmals, dann sinkt die Temperatur schließ- lich so weit ab, dass das Gas flüssig wird. Bei tieferen Temperaturen ist eine andere Methode wirkungsvoller. Man lässt in einem Gefäß komprimiertes Gas durch eine kleine Öffnung in ein Gebiet niederen Drucks strömen. Die Moleküle verrichten bei dieser Expansion Arbeit gegen die anziehenden zwischenmolekularen Kräfte. Dadurch verringert sich die kinetische Energie der Moleküle, die Temperatur des Gases sinkt. Dieses Phänomen wurde von J. P. J OULE und von W ILLIAM T HOMSON , dem späteren L ORD K ELVIN , gemeinsam entdeckt und heißt Joule-Thomson-Effekt ( 127.2 ). Durch Wiederholung dieser Prozesse erreicht man immer tiefere Temperaturen. Die Geschichte der Tieftemperaturtechnik begann 1860 mit der Erreichung des Er- starrungspunktes von Quecksilber ( 234K, −39 °C ). Siebzehn Jahre später, im Jahre 1877, gelang erstmals die Verflüssigung von Sauerstoff bei 90,2K . Nach weiteren 21 Jahren konnte J AMES D EWAR in England Wasserstoff bei 20,4K verflüssigen. Weitere zehn Jahre der Verfeinerung experimenteller Techniken waren erforderlich, bis dem niederländische Physiker K AMERLINGH O NNES im Jahre 1908 die Verflüssigung von Helium bei 4,2K gelang. Flüssiger Sauerstoff, Stickstoff, Wasserstoff und Helium werden heute großtech- nisch hergestellt. Das größte mit flüssigem Helium gekühlte Objekt sind die 1 200 supraleitenden Magnetspulen von je 15m Länge, die am Europäischen Forschung- szentrum C ERN bei 1,9K betrieben werden, um Protonen auf einer Kreisbahn zu führen und gegenseitig zur Kollision zu bringen – das Interesse gilt den physikali- schen Bedingungen, wie sie am Beginn des Universums geherrscht haben. (Mehr dazu in Physik 8) Der absolute Nullpunkt kann zwar nicht erreicht werden, jedoch werden immer neue Methoden gesucht, um sich noch weiter an diese Grenze der Natur heran- zutasten. Tieftemperaturphysiker zwingen die Atome in ihren Versuchen Schritt für Schritt mehr zur Bewegungslosigkeit. Z. B. wird bei Laserkühlung ein Laser- strahl auf kleine Gaswolken gerichtet, um auch noch so langsame Gasatome mög- lichst wirkungsvoll zu bremsen. Das unerreichbare Ziel, der absolute Nullpunkt ( 0K ), bedeutet in der klassischen Physik absolute Ruhe der Teilchen, in der Quan- tenphysik bleibt immer ein Rest an Bewegung. Im Labor werden Temperaturen von 10 −9 K , erreicht, wodurch im Labor die tiefsten Temperaturen des Universums er- zeugt werden. Die dabei beobachteten Phänomene eröffnen beispielsweise die Möglichkeit, die Zeitmessung noch wesentlich genauer zu machen. Demoexperiment: Versuche mit flüssigem Stickstoff 127.1 Taucht man einen Gummischlauch kurze Zeit in flüssigen Stickstoff, so wird der normalerweise biegsame Schlauch hart und spröde ( 127.3 ). Auch organische Materialien, wie Blumen oder Fleisch, verhalten sich so. Flüssiger Stickstoff in ein Gefäß mit Wasser gegossen erzeugt Theaternebel, auf den Tisch gegossen gleiten Tropfen reibungsfrei auf einer Dampfschicht. E 1 Beobachte genau, beschreibe deine Beobachtung und versuche, eine Erklä- rung für die beobachteten Phänomene zu geben. 127 | ENERGIE Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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