Sexl Physik 5 RG, Schulbuch

Vakuum 117.1 Ein Gas befindet sich in der linken Hälfte eines Behälters. Die Zwischenwand wird entfernt. Das Gas expandiert ins Vakuum. Sollte die Molekularbewegung, die das Gas ausströmen lässt, nicht auch eine Umkehr dieses Vorganges bewirken können? Z. B. wenn alle Teilchen an der rechten Wand reflektiert werden? 117.2 Befindet sich nur ein Teilchen im Be- hälter, dann wird es bei vielen Beobachtungen etwa in der Hälfte aller Fälle links … 117.3 … in der Hälfte aller Fälle rechts zu finden sein. 117.4 Geben wir ein zweites Molekül hinzu, so halbiert sich die Zahl der günstigen Fälle, da auch das neue Molekül links oder rechts sein kann. Nur noch jeder vierte Fall ist im Mittel günstig, beide Moleküle links anzutreffen. 117.5 Bei n Molekülen sind 2 n Beobachtun- gen erforderlich, bis man erwarten darf, alle Moleküle links zu finden. Mit der Entropiezunahme ist eine zeitliche Entwicklung des Gesamtsystems ver- bunden. Im Beispiel gab es anfangs, d. h. in der Vergangenheit, Temperaturunter- schiede im System, die sich in der Zukunft ausgleichen. Δ S > 0 bestimmt die Rich- tung, in der irreversible Prozesse ablaufen, das System altert – die Zeit verstreicht! Wenn das Temperaturgleichgewicht erreicht ist, gilt Δ S > 0 , und das System ändert sich nicht mehr, die Zeit ist stehen geblieben. R UDOLF C LAUSIUS , der die Welt noch als abgeschlossenes System ansah, hat die Folgerungen aus dem 1. und dem 2. Hauptsatz folgendermaßen ausgedrückt: Die Energie der Welt ist konstant, die Entropie der Welt strebt einem Maximum zu. Am Ende des 19. Jhs. hat man diese Argumente auf das Universum angewendet und man kam zu einer schockierenden Einsicht: Im Lauf der Zeit sollten sich die Temperaturunterschiede ausgleichen, in einem gleichmäßig warmen Universum würden alle Veränderungsprozesse zum Stillstand kommen. Man sprach vom Wärmetod des Universums – auch wenn dieser erst in ferner Zukunft eintreten sollte. Aus heutiger Sicht ist es allerdings ungewiss, ob das Universum ein abge- schlossenes System ist oder Teil eines größeren Systems ist – trotz aller Fort- schritte der Physik enthält die Kosmologie noch viele Rätsel. Die statistische Betrachtung der Entropie Der 1. Hauptsatz (Energieerhaltung) legt keine Richtung fest, in der natürliche Prozesse ablaufen. Warum sollte es daher unmöglich sein, dass beispielsweise die Teilchen eines Gases in das Gefäß zurückkehren, aus dem sie ausgeströmt sind? Andererseits ist das Ausströmen von Gas in ein größeres Gefäß ( 117.1 ) ein typi- scher irreversibler Vorgang, dessen Umkehrung den 2. Hauptsatz verletzen würde. Dieser Widerspruch löste am Ende des 19. Jhs. unter Physikern und Philosophen heiße Diskussionen aus. Wie kann er aufgelöst werden? Die wichtigste Erkenntnis verdanken wir dem bedeutenden österreichischen Physiker L UDWIG B OLTZMANN (1844–1906, 118.3 ). Gedankenexperiment 117.1 Ein Mol eines idealen Gases, also n = N A = 6 · 10 23 Moleküle, befindet sich in der linken Hälfte eines durch eine Wand geteilten Behälters. Entfernt man die Wand, so ver- teilen sich die Gasteilchen gleichmäßig auf das gesamte Volumen, sie sind in ständiger Bewegung. Der Vorgang ist irreversibel. Niemand hat je beobachtet, dass sich das Gas von selbst wieder in eine Behälterhälfte zurückzieht. Aber ist dies prinzipiell unmöglich? Eine einfache Überlegung hilft dies zu klären. Ist im Behälter nur ein Teilchen vorhanden ( n = 1 ), so ist es mit jeweils gleicher Wahr- scheinlichkeit P 1 = 0,5 links wie rechts anzutreffen ( 117.2, 3 ). Fügen wir ein zweites Teilchen hinzu. Auch dieses wird sich mit der Wahrscheinlichkeit P 2 = 0,5 links befinden. Die Wahrscheinlichkeit, beide Teilchen gleichzeitig links zu fin- den, ist P = P 1 · P 2 = 0,25 ( 117.4 ). Im Mittel finden wir diese Situation bei jeder vierten Beobachtung. Jedes weitere Teilchen halbiert die Wahrscheinlichkeit, alle Teilchen links zu finden, so dass wir bei n Teilchen durchschnittlich 2 n -mal beobachten müssen, bis wir alle Teilchen eines Mol Gas einmal links vorfinden ( 117.5 ). Bei 10 Teilchen müsste man im Mittel 2 10 = 1024 Beobachtungen machen und dies wür- de bei einer Beobachtung pro Sekunde etwa eine Viertelstunde dauern. Aber bereits bei 100 Teilchen wären durchschnittlich 2 100 = (1024) 10 = ca. 10 30 Beobachtungen nötig – wie viele Jahre bräuchte man dafür? Für n = N A = 6 · 10 23 ist 2 n viel größer als jede vor- stellbare Zahl! Es ist also extrem unwahrscheinlich , dass ausgeströmtes Gas sich durch Zufall jemals wieder sammelt. 117 | ENERGIE Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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