Begegnungen mit der Natur 8, Schulbuch

72 Vererbung und Humangenetik M Arbeitsheft Seite 25 Durch weitere Mutationen bilden sich Metastasen Bedrohlich wird es, wenn Tumorzellen durch eine weitere Mutation eine Eigenschaft erwerben, die in unserem Körper nur die Zellen unseres Immun­ systems haben – amöboide Beweglichkeit. Um zwischen den anderen Zellen vorwärts zu kommen, muss so eine „wanderbereite“ Zelle auch noch die Fähig­ keit erlangen, Enzyme zu produzieren, die die Verbindungen zwischen den Zellen lösen. Durch eine weitere Mutation wird dies möglich – die entartete Zelle gelangt so allmählich ins Bindegewebe, trifft zufällig auf ein Blutgefäß und dringt in dieses ein. Da Krebszellen andere Eigenschaften als Blutzellen haben, werden sie in 99,9% der Fälle von den Wandwiderständen mehr oder weniger„zerrieben“. Hat so eine Krebszelle allerdings schon vorher durch Zufall Rezeptoren für Blutplättchen gebildet (eine weitere Mutation!), lagern sich – kaum im Blutge­ fäßsystem angekommen – Blutplättchen an die Zelle und „tragen“ sie durch das Blut. Hat die Zelle (bevor sie in den Blutstrom gelangt ist) durch Mutation zufällig die Fähigkeit erlangt, ICAMs zu bilden, schafft sie es, sich in einem vom Blut langsam durchströmten Bereich (große Kapillarbereiche: Leber, Lunge, Kno­ chen, Gehirn) festzusetzen und aus dem Blutgefäßsystem ins Gewebe auszu­ treten. In der für die ursprünglich aus einem anderen Organ stammende Zelle ist die Umgebung lebensfeindlich und somit geht sie in 99,9% der Fälle zu Grunde. Gelegentlich aber schafft sie es, zu überleben, und beginnt, sich in der neuen Umgebung zu teilen. Erlangt sie auch noch die Fähigkeit, blutgefäßbil­ dende Faktoren zu produzieren, wird der neu entstehende Tumor auch noch mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgt. Es entsteht eine Metastase. Krebs entsteht also nicht durch eine einzige Mutation: Es müssen von der gesunden Zelle bis zur Entstehung der Krebszelle mindestens sechs Mutatio­ nen, und noch einmal mindestens neun Mutationen bis zur Metastasenbil­ dung vonstattengehen. Krebszellen sind uneingeschränkt teilungsfähig Während nicht entartete Zellen, mit Ausnahme der Zellen der Keimbahn, in Bezug auf ihre Teilungsaktivität der Hayflick-Grenze unterliegen, sind Krebs­ zellen uneingeschränkt teilungsfähig. Grund dafür ist die Telomerase, ein Enzym, das die Telomere ( Seite 70) verlängert. In den Keimbahnzellen ist das Telomerase-Gen aktiv und macht sie somit potenziell unsterblich. Durch Mutation schaffen es auch Krebszellen, dass die Telomerase synthetisiert wird. Es gibt verschiedene Modelle zur Krebszellentstehung Die derzeit gängigsten Hypothesen bzw. Modelle wie und aus welchen Zellen Krebs entsteht sind das „klonale Evolutionsmodell“ und das „Tumorstamm­ zellen-Modell“. Das „klonale Evolutionsmodell“ geht davon aus, dass Zellen jeglichen Differenzierungsgrades, also auch bereits ausdifferenzierte, schritt­ weise durch Mutation und Selektion alle Eigenschaften einer Krebszelle erwerben und zudem jede Zelle eines Tumors zum Tumorwachstum beitragen und durch Abwanderung aus dem Tumor Metastasen bilden kann. Nach dem „Tumorstammzellen-Modell“ wird eine Stammzelle im Körper durch Mutation zur Tumorstammzelle. Durch fortgesetzte Teilung entstehen wenige Tumorstammzellen, die sich selten teilen, aber auch Tumorzellen, die sich rasch teilen und so den Tumor vergrößern. Nur die Tumorstammzellen sind in der Lage, durch Abwanderung Metastasen zu bilden.  Blutgefäß Zellen, die im Blutstrom vorkommen, sind den dort herrschenden Bedingun­ gen angepasst – sie sind strömungs­ technisch optimal gebaut, sind flexibel, rund, leicht, weich und lassen sich ein bisschen zusammendrücken.  ICAMs I nter c ellular a dhesion m olecules, inter- zelluläre Adhäsionsmoleküle; bestimmte Zusammenhaftungsmoleküle zwischen gleichartigen Zellen  Hayflick-Grenze Bezeichnung für die begrenzte Zahl an Teilungen, der eine Zelle unterliegt; be- nannt nach dem US-amerikanischen Alterswissenschafter Leonard Hayflick (geb. 1928), der als Erster die Verkürzung der Telomere bei der Mitose beobachte­ te.  Stammzelle Adulte Stammzellen teilen sich lebens­ lang und ersetzen dadurch gealterte, be­ schädigte und abgestorbene Zellen (zB Stammzellen im Knochenmark, in der Haut, im Darm). 64  Amöboid bewegliche Krebszelle 1951 verstarb die Afroamerikane­ rin Henrietta Lacks im Alter von 31 Jahren an Gebärmutterhalskrebs. Recherchiere wodurch Henrietta Lacks „Unsterblichkeit“ erlangte und ihre medizinische Bedeutung. Selbst aktiv! Nur zu Prüfzwecken – Eigentum d s Verlags öbv

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