Begegnungen mit der Natur 8, Schulbuch

61 Humangenetik Inaktivierte X-Chromosomen Bei weiblichen Embryonen findet 16 Tage nach der Befruchtung in allen Zellen die Inaktivierung eines der beiden X-Chromosomen statt. Ob das vom Vater oder das von der Mutter geerbte X-Chromosom betroffen ist, unterliegt in jeder einzelnen Zelle dem Zufall. Weibliche Individuen weisen also sowohl Zellen mit aktiven X-Chromosomen des Vaters und Zellen mit aktiven X-Chromosomen der Mutter auf, meistens in einem Verhältnis 50 : 50. Die inaktiven X-Chromosomen, die nach ihrem Entdecker Murray L. Barr als Barr-Körperchen bezeichnet werden, lassen sich als stärker färbbare Bereiche an der Innenseite der Kernmembran im Lichtmikroskop erkennen ( Abb. 49). Das Schildpattmuster bei Katzen wird durch X-Inaktivierung verursacht Bei Katzen liegt das Allel für die orange und schwarze Fellfarbe auf dem X-Chromosom. Hat eine Katze von beiden Elternteilen die gleiche Fellfarbe vererbt bekommen, erscheint sie einfärbig. Gibt der Kater aber beispielsweise die Fellfarbe Schwarz und die Mutter die Fellfarbe Orange weiter, ist die Toch­ ter gefleckt (Schildpatt-Zeichnung), da jeweils etwa die Hälfte der väterlichen bzw. mütterlichen X-Chromosomen aktiv ist und somit das jeweilige Merkmal in Erscheinung tritt. Solche Katzen werden als Schildpatt-Katzen bezeichnet. Auch beim Menschen lassen sich manche Merkmale mithilfe der Barr-Körper- chen erklären Beim Menschen hat man eine Veränderung auf einem Allel des X-Chromo­ soms beobachtet, welche zur Unterdrückung der Bildung von Schweißdrüsen führt. Dieses Allel ist zwar rezessiv, da aber ein X-Chromosom in jeder Zelle zum Barr- Körperchen und damit inaktiv wird, weisen betroffene Frauen Haut­ bereiche mit und Hautbereiche ohne Schweißdrüsen auf. Auch die manchmal bei Frauen vorkommende blau-braun Fleckung der Iris lässt sich mithilfe der Barr-Körperchen erklären. Der Barr-Test gibt Auskunft über das genetische Geschlecht Von 1967 bis Mitte der 1970er-Jahre wurde bei Leistungssportlerinnen vor gro­ ßen Wettkämpfen ein „Barr-Test“ durchgeführt, um festzustellen, ob eine Abweichung vom äußerlich erkennbaren Geschlecht vorliegt. Dazu untersuch­ te man Haarwurzel- oder Mundschleimhautzellen mit einer speziellen Färbe­ methode auf Barr-Körperchen.  Murray L. Barr (1908–1995) war ein kanadischer Anatom und Mediziner  Barr-Körperchen Die Anzahl der Barr-Körperchen ist stets um eines weniger als die Anzahl der X-Chromosomen in der diploiden Zelle. Männer mit der Kombination XY haben damit kein, Frauen mit der Kombination XX ein Barr-Körperchen in jedem Zell­ kern.  Schildpatt-Katzen Katzen mit schwarz-orange fleckiger Fellfärbung 49  Zellkern einer weiblichen Zelle mit Barr-Körperchen 50  Schildpatt-Katze Barr-Körperchen Tipp zum Lösen der Aufgaben 1–4: Bedenke die Möglichkeit einer Genommutation, die die Gonosomen betrifft. Bei der Beantwortung der Fragen 2–4 hilft dir S. 66. 1. Selten, aber doch, gibt es auch Kater mit Schildpatt-Zeichnung. Nenne den Genotypus, den diese Tiere aufweisen. 2. Beschreibe die Besonderheiten des Genotypus eines Mannes, in dessen Zellkernen ein Barr-Körperchen zu finden ist. 3. Beschreibe die Besonderheiten des Genotypus einer Frau, in deren Zellkernen zwei Barr-Körperchen zu finden sind. 4. Beurteile, ob es Frauen geben kann, in deren Zellkernen keine Barr-Körperchen zu finden sind. 5. Die Überprüfung der Geschlechtszugehörigkeit bei Sportveranstaltungen wird schon länger sehr kontrovers debat­ tiert. Informiere dich im Internet, weshalb Bedarf besteht, solche Tests durchzuführen, und nimm kritisch Stellung, welche ethischen Fragen dadurch aufgeworfen werden. Selbst aktiv! 3 µm Nur zu Prüfz ecken – Eigentum des Verlags öbv

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