Begegnungen mit der Natur 8, Schulbuch

137 Der Mensch greift ein Bioethische Fragen in der medizinischen Biotechnologie Im Jahr 2001 wurde der Fall einer Engländerin bekannt, deren vierjähriger Sohn an Leukämie erkrankt war. Der Bub wurde erfolgreich behandelt, aller- dings bestand ein Rückfallrisiko von 25 % – nur eine Knochenmarktransplanta- tion würde dann noch helfen. Um für diesen Fall Vorsorge zu treffen, ent- schloss sich die Mutter des Vierjährigen, ein weiteres Kind, einen möglichen Knochenmarkspender, zur Welt zu bringen: Die Befruchtung erfolgte in vitro. Durch Präimplantationsdiagnostik wurde ein passender Embryo (möglicher Knochenmarkspender) für den Transfer ausgewählt. Die Geschichte ging durch die Medien und warf die Frage auf, ob es moralisch und ethisch vertret- bar sei, durch PID ausgewählte Spendergeschwister in die Welt zu setzen. Mit den Errungenschaften neuer biotechnologischer Verfahren kommt neben der Frage der technischen Machbarkeit auch die Frage nach der ethischen Richtigkeit ins Spiel. Speziell im Gebiet der medizinischen Biotechnologie befasst sich die Bioethik eindringlich mit Fragestellungen zu den Auswirkun- gen neuer biotechnologischer Entwicklungen auf das menschliche Individuum und die Gesellschaft. Nationale und internationale Übereinkommen und Gesetze gewährleisten den Schutz von Lebewesen Die Bioethikkonvention soll im Bereich der Biologie und Medizin einen Min- deststandard zum Schutz der Menschenwürde und -rechte in Europa sicher- stellen. Das Übereinkommen wurde 1997 vom Europarat verabschiedet und ist seit 1999 in Kraft. Im Juni 2001 wurde im Bundeskanzleramt die Österreichische Bioethikkom- mission bestellt. Sie hat die Aufgabe, den Bundeskanzler in allen gesellschaft- lichen, naturwissenschaftlichen und rechtlichen Fragen, die sich mit der Ent- wicklung der Wissenschaften auf dem Gebiet der Humanmedizin und Humanbiologie ergeben, aus ethischer Sicht zu beraten. Das Fortpflanzungsmedizingesetz ist seit 1. Juli 1992 in Österreich in Kraft (Novellierungen 2001, 2004 und 2015) und verankert die rechtlichen Grundla- gen der medizinisch unterstützten Fortpflanzung. Stammzellenforschung mit embryonalen Stammzellen ist in Österreich verbo- ten Die Verwendung menschlicher embryonaler Stammzellen für Forschungszwe- cke ist ethisch umstritten und deshalb in vielen Ländern, so auch in Öster- reich, nach § 9 (1) FmedG verboten. Die Bioethikkonvention lässt die For- schung an menschlichen Embryonen zwar zu, verbietet jedoch ihre Erzeugung zu Forschungszwecken. Pluripotente Zellen sind neue Hoffnungsträger der Stammzellenforschung 2003 entdeckte Markus Hengstschläger mit seiner Forschungsgruppe im Fruchtwasser schwangerer Frauen Zellen, die den pluripotenten embryonalen Stammzellen sehr ähnlich sind – sie können sich zu unterschiedlichen Zell­ typen entwickeln. 2006 gelang es dem japanischen Stammzellenforscher Shin’ya Yamanaka aus bereits ausdifferenzierten Körperzellen induzierte pluripotente Stammzellen (IPS-Zellen) herzustellen. IPS-Zellen ähneln natürlichen Stammzellen stark und haben den großen Vorteil, dass sie keine ethischen Kontroversen auslösen, wie dies bei embryonalen Zellen der Fall ist. Da für ihre Herstellung keine Embryo- nen zerstört werden müssen, ist ihre Verwendung zu Forschungszwecken daher deutlich unproblematischer.  medizinische Biotechnologie auch „rote Biotechnologie“; befasst sich mit der Entwicklung therapeutischer Verfahren (zB therapeutisches Klonen,  S. 136), diagnostischer Verfahren (Gendiagnostik, pränatale Diagnostik  S. 77), personalisierte Medizin (Phar- makogenomik,  S. 81) Arzneimittel­ herstellung ( S. 144) und Gentherapie ( S. 145)  Bioethik beschäftigt sich damit, was moralisch richtig oder falsch ist, betreffend den Umgang des Menschen mit dem Leben, der Natur sowie medizinischen und bio- technischen Anwendungen.  Bioethikkonvention Das „Übereinkommen zum Schutz der Menschenrechte und der Menschenwür- de im Hinblick auf die Anwendung von Biologie und Medizin“ des Europarates ist ein völkerrechtlicher Vertrag.  Bioethikkommission Die Mitglieder der österreichischen Bio- ethikkommission werden auf drei Jahre bestellt.  Fortpflanzungsmedizingesetz kurz: FMedG; Bundesgesetz, mit wel- chem Regelungen über die medizinisch unterstützte Fortpflanzung getroffen werden.  Markus Hengstschläger (geb. 1968), österreichischer Genetiker, Universitätsprofessor für Medizinische Genetik an der Medizinischen Universi- tät Wien, stellvertretender Vorsitzender der österreichischen Bioethikkommissi- on  Shin’ya Yamanaka (geb. 1962); japanischer Arzt und Stammzellenforscher; 2012 wurde ihm für die Entdeckung, dass ausdifferenzier- te Zellen in Stammzellen verwandelt werden können der Nobelpreis für Phy- siologie oder Medizin zuerkannt  induzierte pluripotente Stamm­ zellen pluripotente Stammzellen, die durch künstliche Rückentwicklung aus bereits ausdifferenzierten Körperzellen entstan- den sind Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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