Begegnungen mit der Natur 8, Schulbuch

127 Die Entwicklungsgeschichte des Menschen Die kulturelle Evolution des Menschen Die im Vergleich zu allen anderen Primaten lange Wachstumsperiode beim Menschen hat auch die Phase der Betreuung der Nachkommenschaft durch die Eltern verlängert. Dies bringt mit sich, dass die Kinder von den Erfahrun- gen ihrer Vorfahren profitieren und diese wiederum an ihre Nachkommen weitergeben können. Die Überlieferung angesammelten Wissens über Genera- tionen hinweg ( Tradition ) ist die Grundlage der Kultur. Die Sprache (in Wort und Schrift) dient dabei als Hilfsmittel der Überlieferung. Die Entwicklung und Weitergabe von Kulturgütern (Sprache, Religion, Ethik, Geistes- und Naturwis- senschaften etc.) ist ein Artmerkmal des Menschen. Vor 10 000 bis 15 000 Jahren wurden die Menschen sesshaft Die bedeutendsten Stadien in der kulturellen Evolution des Menschen began- nen vermutlich vor rund zwei Millionen Jahren mit Nomadinnen und Noma- den, die in der afrikanischen Savanne jagten und Nahrung sammelten, Werk- zeuge herstellten, gemeinschaftliche Aktivitäten organisierten und Arbeitsteilung betrieben. Ein weiterer Sprung in der menschlichen Entwick- lung geschah vor 10 000 bis 15 000 Jahren, als die Menschen durch die Entwick- lung der Landwirtschaft in Afrika, Eurasien und Amerika sesshaft wurden (ers- te dauerhafte Siedlungen und Städte). Für die Weiterentwicklung der menschlichen Kultur war im 18. Jahrhundert die Industrielle Revolution beson- ders bedeutend. Die kulturelle Evolution vollzieht sich schneller als die biologische Im Vergleich zu seiner biologischen Entwicklung vollzog und vollzieht sich die kulturelle Entwicklung des Menschen in rasantem Tempo. Voraussetzungen dafür sind das stark entwickelte Großhirn des Menschen, das ihn zum lebens- langen Lernen befähigt, die Fähigkeit des Kehlkopfes, Laute zu bilden (Sprach- entwicklung) und die Greifhand mit dem opponierbaren Daumen, die die Her- stellung und den Gebrauch von Werkzeugen ermöglicht. Seit der Zeit vom Jagen und Sammeln bis zur Industriegesellschaft haben wir uns biologisch nicht wesentlich verändert. Es wird angenommen, dass wir nicht intelligenter als unsere Vorfahren sind. Otto Koenig hat dieses Phäno- men als „Steinzeitjäger im Straßenkreuzer“ bezeichnet. Unsere heutigen Fähigkeiten, wie zB Computer, Autos und Hochhäuser zu konstruieren oder Kunstwerke zu kreieren, sind nicht genetisch festgelegt, sondern das gesammelte Wissen von Hunderten von Generationen. In unserem biologischen Kern entsprechen wir also unseren frühen Vorfahren. Die mit unserem Wissen selbst geschaffene Verfremdung unserer Umwelt läuft unserer Natur, den in Millionen von Jahren entstandenen Anpassungs- mustern, davon. Wir verändern unsere Umwelt schneller als wir (und andere rezente Arten) uns anpassen können. Waren die angeborenen Elemente menschlichen Verhaltens für den in Kleingruppen lebenden „Steinzeitjäger“ absolut überlebenswichtig, kehren sie sich unter den geänderten Bedingun- gen unserer hochtechnisierten Gesellschaft gegen uns. Während unsere stein- zeitlichen Vorfahren um die begrenzte Nahrung kämpfen mussten, gibt es (zumindest in den Industrieländern) Nahrung im Überschuss. Aggression, ein naturgeschichtlicher Ballast Während Aggression früher ein Überlebensprinzip war, bedeutet sie für den modernen, in Massengesellschaften lebenden Menschen eine Gefahr – nach den österreichischen Verhaltensforschern Konrad Lorenz und Irenäus Eibl-Eibesfeldt ( Begegnungen mit der Natur 6) sind unsere aggressiven Anlagen naturgeschichtlicher Ballast.  Tradition tradere (lat.) = hinübergeben, traditio (lat.) = Übergabe, Auslieferung, Überlieferung bezeichnet die Weitergabe von Hand­ lungsmustern bzw. angeeignetem Wissen  Kultur cultura (lat.) = Landbau, Pflege (des Kör­ pers und des Geistes)  Otto Koenig (1914–1992), österreichischer Verhaltens­ forscher und Zoologe 82  Die sumerische Keilschrift wurde vor etwa 5000 Jahren entwickelt und gilt als älteste Schrift. 83  Vor 10 000 bis 15 000 Jahren wurden die Menschen sesshaft. 84  Unsere Fertigkeiten und Fähigkeiten sind Ausdruck unserer Kultur. Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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