Begegnungen mit der Natur 6, Schulbuch

162 Verhaltensbiologie Biologie menschlichen Verhaltens Auch der Mensch hat die verschiedenen Verhaltensweisen im Laufe der Evolu- tion erworben. Menschliches Verhalten ist das Resultat angeborener Grundla- gen und erlernter Verhaltensmuster. In der Humanethologie bedient man sich unterschiedlicher Methoden, um he- rauszufinden, welche Verhaltensweisen beim Menschen angeboren sind. Für die direkte Beobachtung sind am ehesten Säuglinge geeignet. Bei ihnen lassen sich überlebensnotwendige angeborene Verhaltensweisen erkennen. Durch Tier-Mensch-Vergleiche lassen sich Rückschlüsse auf menschliches Ver- halten ziehen. Beweise für die Existenz angeborener Verhaltensweisen beim Menschen lie- fern auch Kulturvergleiche und Untersuchungen an taubblind Geborenen . Der Mensch ist ein „Herdentier“ mit einem ausgeprägten Territorialverhalten Menschen sind Lebewesen, die sich gerne in Gruppen und hierarchischen Sys- temen zusammenschließen. Dabei zeigen sie teilweise ähnliche Verhaltens- muster wie wir sie bei Tieren beobachten können. Die Abschirmung der Wohnsphäre gegen den Einblick Fremder, etwa durch Hofmauern, Hecken und Vorhänge, sind Zeichen dafür, dass beim Menschen noch ein ausgeprägtes instinkthaftes Territorialverhalten vorhanden ist. Gar- tenmauern, Schilder mit „Betreten verboten!“ und die Einstellung „My home is my castle“ sind deutliche Zeichen menschlichen Revierverhaltens . Bei „Revierverletzung“ kommt es zu Aggressionen, die im Verhältnis zu den mitunter nichtigen Anlässen unerwartet heftig ausfallen können. Aggression wird ua. durch zu hohe Bevölkerungsdichten erzeugt Tiere, die in großer Zahl auf zu engem Raum gehalten werden, geraten man- gels notwendiger Individualdistanz in Stress, was zu Verhaltensstörungen füh- ren kann. Dieser Crowding-Effekt lässt sich auch beim Menschen beobachten. Zum Beispiel resultieren die unangenehmen Empfindungen in einem Aufzug meist aus dem Zwang, völlig fremden Menschen ganz nah gegenüberstehen zu müssen, weit unter der Distanz , die man normalerweise gegenüber Unbe- kannten einhalten würde. Auch lässt sich dieser Effekt bei Verkehrsstauungen, in überfüllten Straßenbahn- oder U-Bahnwaggons oder in überfüllten Flücht- lingslagern beobachten, in denen es immer wieder zu Aggressionsverhalten zwischen den Bewohnern bzw. Bewohnerinnen kommt. 42 überfüllte U-Bahn 43 überfülltes Flüchtlingslager direkte Beobachtung Säuglinge können nach der Geburt schreien und sich festklammern – alle- samt überlebensnotwendige und des- halb angeborene Verhaltensweisen. Tier-Mensch-Vergleiche Teilweise bedient sich die Humanetholo- gie auch der Methoden der Erforschung tierischen Verhaltens. Allerdings gibt es dabei aus ethischen Gründen Grenzen (zB Kaspar-Hauser-Versuche). Kulturvergleiche Beobachtung von Menschen verschiede- ner Völker in gleichen Situationen Untersuchungen an taubblind Gebo- renen Taubblind geborene Kinder können Be- wegungen, Mimik, etc. nicht durch Nach- ahmen erlernen. Gruppen und hierarchische Systeme Die Gruppenzugehörigkeit bzw. Rang- stellung wird häufig durch Kleidung, Abzeichen etc. signalisiert. Revierverhalten zB am Strand zu beobachten, wenn der Liegeplatz abgesteckt wird Distanz Der Abstand, den Individuen zueinander einnehmen (Individualdistanz; Distanz, die spannungsfrei ertragen wird), be- trägt bei Familienmitgliedern und engen Freunden 0 bis 40 cm, bei Fremden mit Kommunikation 40 bis 120 cm und bei Fremden ohne Kommunikation 120 bis 400 cm (die Abstände sind zum Teil auch kulturbedingt). Crowding-Effekt ZB kommt es bei Tauben, die zu eng ge- halten werden, zum Beschädigungs- kampf, da das unterlegene Tier nicht fliehen kann. Schweine in Massentier- haltung zeigen Schwanzkannibalismus (gegenseitiges Abbeißen der Schwänze). 1. Nenne weitere Beispiele in dei- ner persönlichen Lebenswelt, bei denen es zu Revierverhal- ten kommt. 2. Finde eine Erklärung, warum es in Aufzügen zwischen Fremden oft zu belanglosen Gesprächen (zB über das Wetter) kommt. 3. Recherchiere den Begriff „Lagerkoller“. Selbst aktiv! Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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