Begegnungen mit der Natur 6, Schulbuch

152 Verhaltensbiologie M Arbeitsheft Seite 30, 31 Angeborenes oder erlerntes Verhalten? Eine Grundfrage der Ethologie ist die, welche Verhaltenselemente angeboren , welche erlernt sind. Konrad Lorenz führte dazu ua. Verhaltensstudien mit Dohlen ( Corvus monedula ) durch. Aus seinen Beobachtungen konnte er schließen, dass manche Verhaltensweisen angeboren sind, während andere wiederum im Laufe des Lebens (meist in der allerersten frühen Entwicklungsphase) erlernt werden müssen. Die Erkenntnisse, die er aus der Beobachtung der Dohlen, im Speziellen seiner handaufgezogenen Dohle Tschok, gewann, sind im Folgen- den zusammengefasst. Mitfliegen, Versorgen des Nachwuchses und soziale Verteidigung sind ange- boren Das „Mitfliegen“ bei Dohlen wird durch schwarzes Geflatter ausgelöst. Da die Dohle Tschok nie zuvor Artgenossen gesehen hatte, sich aber auch von Nebel- krähenschwingen mitreißen ließ, schloss Konrad Lorenz aus dieser Beobach- tung, dass dies eine angeborene Reaktion sein muss. Als zu versorgende Kinder akzeptieren Dohlen nur Dohlenjunge – Erkennungs- zeichen für diese ist der gelb-rote Sperr-Rachen der Dohlenkinder. Ganz ähnli- che Junge (selbst nah verwandte Nebelkrähenjunge) werden nicht gefüttert. Das Inbild des zu versorgenden Nachwuchses ist also angeboren. Auch die soziale Verteidigung ist bei Dohlen angeboren. Ergriff Konrad Lorenz eine fremde Jungdohle, hackte ihm Tschok in die Hand. Die soziale Verteidi- gung wurde fast durch jeden schwarzen, wackelnden Gegenstand ausgelöst (ua. sogar durch eine Badehose, die Konrad Lorenz in seinen Händen hin und her schwang). Das Bild der Eltern, des Geschlechtspartners und von Feinden wird erlernt Wie bei den Enten ist auch das Elternbild bei Dohlen erlernt. So konnte Konrad Lorenz auch Dohlen auf sich prägen ( S. 156). Ein Inbild des Geschlechtspartners ist Dohlen nicht angeboren – es wird vom Elternbild geprägt – normalerweise Dohlen. Ist die Dohle allerdings men- schengeprägt, wirkt sich das auch auf die Partnerwahl aus. Jungdohlen müssen im Unterschied zu vielen anderen Tieren Feindbilder erst erlernen. Wenn Gefahr droht, sind sie auf die Warnung eines Altvogels ange- wiesen. Rasches Lernen ist dabei überlebensnotwendig, denn die Altdohle kann ihr Feindwissen nur angesichts des Feindes vermitteln – sie braucht min- destens einmal die Katze, um „Katze“ als Gefahr zu etablieren. angeboren Angeborene Verhaltensweisen sind in den Genen festgelegt und müssen nicht erlernt werden ( S. 153 ff). erlernt Erlernte Verhaltensweisen sind nicht au- tomatisch im Verhaltensrepertoire eines Tieres enthalten – sie müssen durch Ler- nen angeeignet werden ( S. 156 ff). Sperr-Rachen für jede Vogelart charakteristisch ge- färbter Rachen, deren Präsentation („Sperren“) in den Elterntieren das Füt- tern auslöst Partnerwahl Der menschengeprägte Tschok ent- wickelte eine starke Bindung zum Haus- mädchen der Familie Lorenz. Als die jun- ge Frau heiratete und in ein mehrere Kilometer entferntes Dorf zog, folgte ihr die Dohle. Feindbilder Bei Gänsen beispielsweise ist das Feind- bild angeboren. Versuche am Konrad-Lo- renz-Institut in Grünau im Almtal erga- ben, dass selbst bei Gänsen, die noch nie einen Fuchs gesehen hatten, ein Fuchs- balg (Fell mit Kopf) wütende Verteidi- gung und pfauchende Hasstiraden aus- löste. 13 Dohle ( Corvus monedula ) 14 Dohlen; Sperr-Rachen 15 Gehorsames und rasches Lernen sind für die Jungdohlen überlebensnotwendig. Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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