Zeitbilder 2, Arbeitsheft

46  Ich gehe zum Pharao Im alten Ägypten war die Gesellschaft nach Schichten gegliedert. Wer als Minister oder Schreiber höhergestellt war, hatte mehr Rechte und genoss größeres Ansehen als die abhängigen Handwerker und Bauern oder gar die Sklaven. Wie der folgende Streitfall belegt, waren die Menschen in den unteren Schichten jedoch nicht völlig rechtlos. An der Straße, die ins Dorf führt, liegen hinter einer gelben Lehmmauer die königlichen Kornhäuser. Dort ist reger Betrieb, viele Bauern sind gekommen, ihre Steuern abzuliefern. Auf einem Podest steht der königliche Kornaufschreiber Dehutinecht und verzeichnet die eingelagerten Mengen. Er ist ein gefürchteter und strenger Herr. Es ist nicht gut, ihm unter die Augen zu kommen. (...) Eben als Pasis an den Schnittern vorübergeht, tritt der Steuereinnehmer Dehutinecht heraus. Sein Lendenschurz aus weißem Leinen reicht kaum bis zum Knie. Aber um den Hals trägt er einen breiten, mit Edelsteinen besetzten Kragen, Sinnbild der ge- hobenen Stellung, die er als königlicher Beamter einnimmt. Seine gepflegten Haare glänzen von köstlichem Salböl, die bei Höhergestellten übliche Schminke hat er ausgiebig verwendet; die Augen- winkel sind durch schwarze Striche verlängert, die Brauen rasiert und geschwärzt und die unteren Li- der mit grüner Farbe getönt. Zwei Sklaven gehen an seiner Seite und fächeln ihm mit Straußenfe- dern Kühlung zu. Pasis bleibt stehen und tritt ehrfürchtig grüßend zur Seite, aber zwei seiner Knechte haben den Schreiber nicht rechtzeitig bemerkt und stolpern Staub aufwirbelnd auf der Straße weiter. Erbost schwingt der Beamte den Rohrstock und schlägt auf ihre Köpfe ein. „Was treibt ihr euch hier herum?“, ruft er drohend. „An die Arbeit, faules Pack, oder ich stecke euch in die Bergwerke!“ Jetzt hat Dehutinecht den Bauern erblickt, der be- dächtig mit seinen drei Eseln daher trabt. Habgie- rig mustern seine kleinen flinken Augen die La- dung auf dem Rücken der Tiere. Rasch befiehlt er, ein Laken herbeizuschaffen und es über die Straße zu breiten. Herrisch ruft er dem Herankommenden zu: „Nimm dich in Acht und tritt nicht auf das Gewand eines Beamten!“ Der Bauer weicht gehorsam an den Wegrand aus, seine Esel trampeln dabei frei- lich ein wenig durch das Gerstenfeld. Jetzt be- hauptet Dehutinecht schreiend, das Feld sei sein Eigentum, und er verlange als Schadensersatz die drei beladenen Tiere. „Kennst du, ungebildeter Bauer, nicht die Lehren der Weisheit? Da steht ge- schrieben: Krümme deinen Rücken vor den Beam- ten des Königs! Dann wird dein Haus dauern und deine Habe sich mehren.“ (…) Ein Mann kommt auf den Hof, es ist der Bauer aus dem Salzfeld. „Ihr da, wie heißt euer Kornauf- schreiber?“, fragt er. „Dehutinecht. Willst du zu ihm?“ „Ich will ihn verklagen.“ „Du wirst nichts ausrichten“, antworten mehrere zugleich. „Geh und lass dich vor dem Schreiber nicht blicken!“ „Ich gehe bis zum Pharao.“ Die Knechte lachen. Der Mann sieht sie aus dunklen Augen der Reihe nach an. Dann wendet er sich und geht wieder. Er ist hartnäckig, lässt sich nirgends abweisen und dringt bis zum „hohen Beamten“ Rensi vor. Und er betreibt seine Sache mit so viel Geschick, dass er sogar dem Pharao vorgeführt wird. Der König freut sich eine Weile an der Klugheit und dem Witz des Bauern. Dann spricht er dem Beraubten sein Recht und eine Entschädigungssumme zu. Dehutinecht wird abgesetzt. (aus: Otto Zierer: Älteste Völker, Roman, 1952) Beschreibe mit eigenen Worten den Steuereintreiber Dehutinecht. Stelle fest, wie der Steuereintreiber versucht, die Bauern einzuschüchtern. Schreibe eine kurze Inhaltsangabe der Geschichte in dein Heft. Erzähle der Klasse von einer ungerechten Behandlung. Diskutiert dann Möglichkeiten, wie man sich dagegen wehren kann. Arbeite nach M1+A2 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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