Zeitbilder 4, Schulbuch
Modul 3 – Demokratie in Österreich in historischer Perspektive 59 Hyperinflation und Hungerdemonstrationen Nach Kriegsende stiegen die Preise täglich, manchmal stündlich. Löhne wurden jetzt täglich ausbezahlt. Die Menschen gingen am Abend mit dem Geld sofort einkaufen – am nächsten Tag war es viel weniger wert. Es kam zu Hungerdemonstrationen und Plünderungen. Unternehmerinnen und Unternehmer konnten nicht mehr in ihre Betriebe investieren, um die Produktion zu steigern. Laut dem Historiker Roman Sandgruber reichte im Jahr 1922 ein Geldbetrag, mit dem die Menschen 1914 noch ein Haus kaufen konnten, vielleicht noch für ein Mittagessen. Völkerbundanleihe Im Jahr 1922 konnte Bundeskanzler Ignaz Seipel* mit Hilfe einer Völkerbundanleihe den Staatshaushalt ordnen und die Inflation stoppen. An die Anleihe waren aber Bedingungen geknüpft: Keine Vereinigung mit dem Deutschen Reich, ein strenges Sparprogramm bei den Staatsausgaben und ausländische Kontrolle der Finanzen. Der harte Schilling 1924 wurde die Schillingwährung eingeführt. Die Wertbeständigkeit des Schillings war den Regierungen wichtiger als Wirtschaftswachstum und Beschäftigung. Ein Drittel der Beamten wurde abgebaut, Löhne, Gehälter und Renten gekürzt, die Steuern erhöht und neue eingeführt. Niedriger Geldumlauf sollte eine neuerliche Inflation verhindern. Das verringerte die Kaufkraft der Bevölkerung und brachte einen Produktionsrückgang. Die Wirtschaft schrumpfte, viele Betriebe schlossen. Dadurch gab es in der Ersten Republik sehr viele Arbeitslose. Die harte Währung ging auch auf Kosten der Arbeiterschaft. Die politischen Parteien Nach dem Ende ihrer Koalition 1920 wurde die politische Auseinandersetzung zwischen Christlichsozialen und Sozialdemokraten härter und ihre Sprache radikaler. Rot Die Sozialdemokratie war geteilt. Karl Renner wollte mit anderen demokratischen Parteien zusammenarbeiten, Otto Bauer* dagegen nicht mit bürgerlichen Parteien. Er vertrat die Lehre von Karl Marx: Die arbeitende Klasse werde am Ende die Macht im Staat übernehmen. So beschlossen die Sozialdemokraten auf dem Parteitag 1926 das „Linzer Programm“. Schwarz Die Christlichsoziale Partei stellte von 1920 bis 1938 fast durchgehend den Bundeskanzler. Langjähriger Parteiobmann und Kanzler war der Priester Ignaz Seipel. Durch ein Bündnis mit anderen bürgerlichen Parteien – dem „Dritten Lager“ – verhinderte die Christlichsoziale Partei eine Regierungsbeteiligung der Sozialdemokratischen Partei. Weitere Parteien Das nationale Lager (Großdeutsche Volkspartei, Landbund) hatte als Koalitionspartner der Christlichsozialen politischen Einfluss. Die Kommunistische Partei blieb klein und politisch bedeutungslos. Aus dem „Linzer Programm“ (3.11.1926) Q Gelingt es der sozialdemo- kratischen Arbeiterpartei, die manuellen und die geistigen Arbeiter in Stadt und Land zu vereinigen, so gewinnt sie die Mehrheit des Volkes. Sie erobert durch die Entscheidung des allgemeinen Wahlrechts die Staatsmacht. Die sozialdemo- kratische Arbeiterpartei wird die Staatsmacht in den Formen der Demokratie ausüben. Wenn sich aber die Bourgeoisie * gegen die gesellschaftliche Umwälzung durch planmäßige Unterbindung des Wirtschaftslebens, durch gewaltsame Auflehnung, durch Verschwörung mit ausländischen gegenrevolutionären Mächten widersetzen sollte, dann wäre die Arbeiterklasse gezwungen, den Widerstand der Bourgeoisie mit den Mitteln der Diktatur zu brechen. (Linzer Programm, 1926) Analysiere die beiden Textquellen. Arbeite die unterschiedlichen Positionen heraus. Erkläre, für wen die Parteiprogramme verfasst wurden. Erläutere mögliche Reaktionen der Parteimitglieder. Arbeite nach M1 Aus dem Parteiprogramm der Christlichsozialen Partei (29.11.1926) Q Die christlichsoziale Partei bekennt sich zum demo- kratischen Staate und fordert daher volle Gleichberechtigung aller Bundesbürger in der Ausübung politischer Rechte, Freiheit der Gesinnung und des Organisationswillens. Sie weist mit Entschiedenheit jeden Versuch zur Aufrichtung einer Klassendiktatur zurück. (In: Tiroler Anzeiger, 31.12.1926) 1918 1926 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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