Zeitbilder 4, Schulbuch
Modul 5 – Holocaust/Shoah, Genozid und Menschenrechte 43 Menschen mit Behinderungen „Euthanasie“ (griech. gut, Tod) war die Bezeichnung der Nationalsozialisten für die Ermordung von Menschen mit Behinderungen und psychisch Kranke, deren Leben sie als „unwert“ erachteten. Dieses Programm wurde jedoch wegen des zunehmenden Widerstandes auch von eigenen Parteimitgliedern abgebrochen. Heinrich Gross Er war Arzt in der Wiener Jugendfürsorgeanstalt Am Spiegelgrund. Dort wurden Experimente an Kindern mit körperlichen und geistigen Beeinträchtigungen durchgeführt, die die Kinder oft nicht überlebten. Gross legte eine Sammlung von präparierten Gehirnen an. Er nutzte diese nach dem Krieg für seine Forschung und zum Aufbau seiner Karriere. Außerdem war er als Gerichtspsychiater tätig. Doch 30 Jahre nach Kriegsende erkannte ihn der Spiegelgrund-Überlebende Friedrich Zawrel wieder und ging damit an die Öffentlichkeit. Gross leugnete und klagte wegen übler Nachrede. Obwohl ein Gericht seine Beteiligung an den „Euthanasie“-Morden feststellte, kam es nie zu einer Mordanklage. Totschlag aber war bereits verjährt. Beweise, die für eine Mordanklage gereicht hätten, tauchten aus russischen Archiven erst 2005 auf. Im selben Jahr aber starb Gross im Alter von 90 Jahren. Entnazifizierung Ab Juli 1945 setzten die Alliierten eine Politik um, die darauf abzielte, die deutsche und österreichische Gesellschaft, Politik, Justiz, Wirtschaft, Presse und Kultur von allen Einflüssen des Nationalsozialismus zu befreien. Die Symbole und Organisationen des NS-Staates wurden schnell verboten. Nun versuchten viele Menschen in Deutschland und Österreich, sich als schuldlos oder als Mitläuferin oder Mitläufer darzustellen. 1946 wurde nach langen Verhandlungen mit den alliierten Mächten das Nationalsozialistengesetz für Österreich verabschiedet. Damit sollten die Täterinnen und Täter für ihre Verbrechen zur Verantwortung gezogen werden. Man unterschied dabei zwischen so genannten Belasteten, Minderbelasteten und Nicht Belasteten. Minderbelastete waren ab 1949 wieder wahlberechtigt. Hartmut Dühr über seine Rolle als Mitläufer (1987) Q (…) um das Jahr 1947 herum gab es keinen Titel, der so erwünscht, ja ersehnt war wie der des Mitläufers. Wenn man die 133 Fragen des berüchtigten „Fragebogens“ zur Entnazifizierung erfolgreich beantwortet hatte, bekam man das „Diplom“ im schriftlichen Verfahren – gegen Entrichtung einer Gebühr, versteht sich. (…) Hatte man den Bescheid, nur Mitläufer gewesen zu sein, ließ man das Papier schnell in der Brieftasche verschwinden. Man sprach nicht darüber. Ich auch nicht. (In: H. Dühr, Ergebung ohne Widerstand, 1987) Arbeite aus der Darstellung heraus, welche widersprüchlichen Gefühle Inge Thiele dem Nationalsozialismus gegenüber empfindet. Definiere mit Hilfe der beiden Texte den Begriff Mitläufer. Diskutiert die Aussage: „Mitläufer zu sein ist leichter als zu der einen oder der anderen Seite zu gehören.“ Arbeite nach M1+A2 Tötungsanstalt Hartheim Hier wurden zunächst Menschen mit körperlichen und geistigen Behinderungen in Gaskammern ermordet. 30 000 Menschen sind der Anstaltsstatistik zufolge dort umgekommen. Einer der beiden leitenden Ärzte beging 1945 mit seiner gesamten Familie Selbstmord. Dem anderen gelang es zunächst unterzutauchen, er wurde jedoch 1961 verhaftet. Der Prozess gegen ihn wurde 1970 wegen seines angeblich schlechten Gesundheitszustandes endgültig eingestellt. Er starb 1997, in einem Interview vor seinem Tod zeigte er keine Reue. Die Nationalsozialisten sprachen bei Menschen mit körperlichen und geistigen Behinderungen von „unwertem Leben“. Nimm dazu Stellung. Beurteile den hier geschilderten Umgang mit Täterinnen und Tätern. Diskutiert, ob es für die Justiz Alternativen zu diesem Vorgehen gegeben hätte. Arbeite nach M1+A2 Inge Thiele (1933) D „Das ganze Abseitssteh’n, die Reserviertheit, ich will es nicht mehr“, notierte die junge Gärtnerin Inge Thiele im Herbst 1933. Als sie gemeinsam mit ihrem Chef und dessen Familie eine Hitler-Rede im Radio hörte, jubelte sie denn auch begeistert mit. „Und ich, so schnell ich begeistert bin, so schnell kühle ich ab. Warum kommen mir immer nur wieder Zweifel? Warum kann ich nicht rückhaltlos glauben?“ (In: J. Steuwer, Ein Drittes Reich, wie ich es auffasse, 2017) 1933 2009 Nur zu Prüfzwecken – Eige tum des Verlags öbv
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