Vielfach Deutsch 3, Leseheft
Es hebt aus dem Nebel sich Baum an Baum, Und Hügel schließen den weiten Raum. Er spürt auf dem Boden Stein und Dorn, Dem Rosse gibt er den scharfen Sporn. Und Hunde bellen empor am Pferd, Und es winkt im Dorf ihm der warme Herd. „Willkommen am Fenster, Mägdelein, An den See, an den See, wie weit mag’s sein?“ Die Maid, sie staunet den Reiter an: „Der See liegt hinter dir und der Kahn, Und deckt’ ihn die Rinde von Eis nicht zu, Ich spräch’, aus dem Nachen stiegest du.“ Der Fremde schaudert, er atmet schwer: „Dort hinten die Eb’ne, die ritt ich her!“ Da recket die Magd die Arm’ in die Höh’: „Herr Gott! so rittest du über den See: An den Schlund, an die Tiefe bodenlos, Hat gepocht des rasenden Hufes Stoß! Und unter dir zürnten die Wasser nicht? Nicht krachte hinunter die Rinde dicht? Und du wardst nicht die Speise der stummen Brut? Der hungrigen Hecht’ in der kalten Flut?“ Sie rufet das Dorf herbei zu der Mär’, Es stellen die Knaben sich um ihn her; Die Mütter, die Greise, sie sammeln sich: „Glückseliger Mann, ja, segne du dich! Herein zum Ofen, zum dampfenden Tisch, Brich mit uns das Brot und iss vom Fisch!“ Der Reiter erstarret auf seinem Pferd, Er hat nur das erste Wort gehört. Es stocket sein Herz, es sträubt sich sein Haar, Dicht hinter ihm grinst noch die grause Gefahr. Es siehet sein Blick nur den grässlichen Schlund, Sein Geist versinkt in den schwarzen Grund. Im Ohr ihm donnerts, wie krachend Eis, Wie die Well’ umrieselt ihn kalter Schweiß. Da seufzt er, da sinkt er vom Ross herab, Da ward ihm am Ufer ein trocken Grab. 26 28 30 32 34 36 38 40 42 44 46 48 52 54 56 58 60 62 der Nachen , die Nachen: kleines Boot zürnen : böse, zornig sein die Mär(e) , die Mären: eine unglaubwürdige, seltsame Geschichte Aus: Frank T. Zumbach: Das Balladenbuch. Albatros, Düsseldorf 2008 (bearbeitet). Balladen und Sagen lesen und verstehen 45 5 Nur 50 zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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