Vielfach Deutsch 2, Leseheft

Sagen lesen und verstehen 4 a) Lies die folgende Sage aus der griechischen Mythologie. Arachne In einer kleinen Stadt wohnte eine junge Frau. Sie hieß Arachne. Ihr Name war in den Städten berühmt, denn sie übertraf als Weberin alle Frauen des Landes. Wenn Arachne die grobe Wolle aufwickelte, wenn sie die Fäden feiner und feiner zog oder mit der Nadel stickte, schien es, als ob Pallas Athene selbst ihre Lehrmeisterin gewesen wäre. Davon aber wollte Arachne nichts wissen, sondern rief beleidigt: „Nicht von der Göttin lernte ich die Kunst! Sie mag kommen und sich mit mir messen. Besiegt sie mich, so will ich jede Strafe erdulden!“ Athene hörte mit Unwillen dieses Prahlen. Sie nahm die Gestalt eines alten Mütterchens an, trat in die Hütte Arachnes und begann: „Das Greisenalter hat auch etwas Gutes, mit den Jahren rei die Erfahrung. Darum verachte nicht meinen Rat! Sei zufrieden mit dem Ruhm, dass du mit mehr Kunstfertigkeit als alle Sterblichen die Wolle zu weben verstehst; aber beuge dich der Göttin in Demut. Flehe um Verzeihung für dein allzu kühnes Wort; dann wird dir gerne vergeben.“ Finsteren Blickes sprach Arachne voll Zorn: „Warum kommt Pallas Athene nicht selbst? Warum vermeidet sie den Wettstreit mit mir?“ Jetzt war die Geduld der Göttin zu Ende. „Sie ist schon da!“, rief sie und stand plötzlich in ihrer wahren himmlischen Gestalt vor ihr. Arachne bebte nicht, nur ein ¤üchtiges Erröten überzog ihr trotziges Antlitz. Die Tochter des Zeus nahm den Kampf an. Beide stellten an gesonderten Orten den Webstuhl auf und begannen mit der Arbeit. Tausend Farben webten sie kunstvoll durcheinander; auch goldene Fäden liefen hindurch; und so entstanden bald die schönsten Gebilde. Athene webte in ihr Bild den Felsen der athenischen Burg und ihren Streit mit dem Meeresgott um den Besitz des Landes. Hier stand Poseidon, wie er den riesigen Dreizack in den Felsen stößt, sodass die salzige Meeres¤ut herausspringt. Dort erschien die göttliche Künstlerin selbst mit Schild und Lanze gewappnet, den Helm auf dem Haupte. So webte Athene ihren eigenen Sieg in das Bild. In die Ecken aber wirkte sie vier Beispiele menschlichen Hochmuts, die durch die Rache der Götter ein trauriges Ende 1 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 26 28 Ich darf mythisch (= sagenhaft) nicht mit mystisch (= geheimnisvoll, rätselhaft) verwechseln. In all den vielen Kulturen unserer Erde gibt es Mythen (Erzählun- gen) über die Entstehung der Welt. Die Mythologie befasst sich mit den Götter- und Heldensagen eines Volkes. In diesem Kapitel findest du Sagen aus dem klassischen Altertum. Arachne Die Weberin Arachne besitzt ein besonderes Talent. Sie ist im Umgang mit Wolle nicht nur geschickt, sondern auch künstlerisch begabt. Stolz will sie sich mit Pallas Athene messen. Das erzürnt die Göttin. 36 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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