Vielfach Deutsch 2, Leseheft

Lies den nächsten Textausschnitt sehr aufmerksam. Lasse dir Zeit. Krabat tappte ein Stück durch den Wald wie ein Blinder im Nebel, dann stieß er auf eine Lichtung. Als er sich anschickte, unter den Bäumen hervorzutreten, riss das Gewölk auf, der Mond kam zum Vorschein, alles war plötzlich in kaltes Licht getaucht. Jetzt sah Krabat die Mühle. Da lag sie vor ihm, in den Schnee geduckt, dunkel, bedroh- lich, ein mächtiges, böses Tier, das auf Beute lauert. „Niemand zwingt mich dazu, dass ich hingehe“, dachte Krabat. Dann schalt er sich einen Hasenfuß, nahm seinen Mut zusammen und trat aus dem Waldesschatten ins Freie. Beherzt schritt er auf die Mühle zu, fand die Haustür verschlossen und klop e. Er klop e einmal, er klop e zweimal: nichts rührte sich drinnen. Kein Hund schlug an, keine Treppe knarrte, kein Schlüsselbund rasselte – nichts. Krabat klop e ein drittes Mal, dass ihn die Knöchel schmerzten. Wieder blieb alles still in der Mühle. Da drückte er probehalber die Klinke nieder: die Tür ließ sich öœnen, sie war nicht verriegelt, er trat in den Haus¤ur ein. Grabesstille emp¦ng ihn und tiefe Finsternis. Hinten jedoch, am Ende des Ganges, etwas wie schwacher Lichtschein. Der Schimmer von einem Schimmer bloß. „Wo Licht ist, werden auch Leute sein“, sagte sich Krabat. Die Arme vorgestreckt, tastete er sich weiter. Das Licht drang, er sah es im Näherkommen, durch einen Spalt in der Tür, die den Gang an der Rückseite abschloss. Neugier ergriœ ihn, auf Zehenspitzen schlich er sich zu der Ritze und spähte hindurch. Sein Blick ¦el in eine schwarze, vom Schein einer einzigen Kerze erhellte Kammer. Die Kerze war rot. Sie klebte auf einem Totenschädel, der lag auf dem Tisch, der die Mitte des Raumes einnahm. Hinter dem Tisch saß ein massiger, dunkel gekleideter Mann, sehr bleich im Gesicht, wie mit Kalk bestrichen; ein schwarzes P¤aster bedeckte sein linkes Auge. Vor ihm auf dem Tisch lag ein dickes, in Leder eingebundenes Buch, das an einer Kette hing: darin las er. Nun hob er den Kopf und starrte herüber, als habe er Krabat hinter dem Türspalt ausgemacht. Der Blick ging dem Jungen durch Mark und Bein. Das Auge begann ihn zu jucken, es tränte, das Bild in der Kammer verwischte sich. Krabat rieb sich das Auge – da merkte er, wie sich ihm eine eiskalte Hand auf die Schulter legte, von hinten, er 6 die Lichtung: baumloser Platz im Wald anschicken: sich bereit machen das Gewölk: Wolken 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 26 28 30 32 34 der Hasenfuß: ängstlicher Mensch Was der Romanheld sieht Wissen und Sehen verleihen Sicherheit. Weiß und sieht man nichts, macht sich Unsicherheit breit. Es kann ein Gefühl der Angst entstehen, welches sich von der Hauptfigur auf die Leserinnen und Leser überträgt. 21 Spannende Jugendliteratur kennen lernen 2 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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