Vielfach Deutsch 2, Leseheft

Doch der Traum wiederholte sich in der Nacht darauf. Abermals rief ihn die Stimme beim Namen, und abermals krächzten die Raben: „Gehorche ihr!“ Das gab Krabat zu denken. Er fragte am anderen Morgen den Bauern, bei dem sie genächtigt hatten, ob er ein Dorf kenne, das Schwarzkollm heiße oder so ähnlich. Der Bauer entsann sich, den Namen gehört zu haben. „Schwarzkollm …“, überlegte er. „Ja doch – im Hoyerswerdaer Forst, an der Straße nach Leippe: da gibt es ein Dorf, das so heißt.“ Das nächste Mal übernachteten sie in Groß-Partwitz. Auch hier träumte Krabat den Traum von den Raben und von der Stimme, die aus den Lüen zu kommen schien; und es spielte sich alles genauso ab wie beim ersten und zweiten Mal. Da beschloss er, der Stimme zu folgen. Im Morgengrauen, als die Gefährten noch schliefen, stahl er sich aus der Scheune. Am Hoor begegnete er der Magd, die zum Brunnen ging. „Grüß mir die beiden“, trug er ihr auf, „ich hab wegmüssen.“ Von Dorf zu Dorf fragte Krabat sich weiter. Der Wind trieb ihm Schneekörner ins Gesicht, alle paar Schritte musste er stehen bleiben und sich die Augen wischen. Im Hoyerswerdaer Forst verlief er sich, brauchte zwei volle Stunden, bis er die Straße nach Leippe wiederfand. So kam es, dass er erst gegen Abend sein Ziel erreichte. Schwarzkollm war ein Dorf wie die anderen Heidedörfer: Häuser und Scheunen in langer Zeile zu beiden Seiten der Straße, tief eingeschneit; Rauchfahnen über den Dächern, dampfende Misthaufen, Rindergebrüll. Auf dem Ententeich liefen mit lautem Gejohle die Kinder Schlittschuh. Vergebens hielt Krabat Ausschau nach einer Mühle. Ein alter Mann, der ein Bündel Reisig trug, kam die Straße herauf: den fragte er. „Wir haben im Dorf keine Mühle“, erhielt er zur Antwort. „Und in der Nachbarscha?“ „Wenn du die meinst …“ Der Alte deutete mit dem Daumen über die Schulter. „Im Koselbruch hinten, am Schwarzen Wasser, da gibt es eine. Aber …“ Er unterbrach sich, als habe er schon zu viel gesagt. Krabat dankte ihm für die Auskun, er wandte sich in die Richtung, die ihm der Alte gewiesen hatte. Nach wenigen Schritten zupe ihn wer am Ärmel; als er sich umblickte, war es der Mann mit dem Reisigbündel. „Was gibt’s?“, fragte Krabat. Der Alte trat näher, sagte mit ängstlicher Miene: „Ich möchte dich warnen, Junge. Meide den Koselbruch und die Mühle am Schwarzen Wasser, es ist nicht geheuer dort …“ Einen Augenblick zögerte Krabat, dann ließ er den Alten stehen und ging seines Weges, zum Dorf hinaus. Es wurde rasch Šnster, er musste Acht geben, dass er den Pfad nicht verlor, ihn fröstelte. Wenn er den Kopf wandte, sah er dort, von woher er kam, Lichter aufschimmern: hier eines, da eines. Ob es nicht klüger war umzukehren? „Ach was“, brummte Krabat und klappte den Kragen hoch. „Bin ich ein kleiner Junge? Ansehen kostet nichts.“ 14 16 18 20 22 24 26 28 30 32 34 36 38 40 42 44 46 48 50 52 54 das Reisig: dünnes Zweigholz Aus: Otfried Preußler: Krabat.dtv, München 2012 (gekürzt). 19 Spannende Jugendliteratur kennen lernen 2 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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