Vielfach Deutsch 4, Arbeitsheft Sprachförderung und DaZ

Lies die folgende Kurzgeschichte von Ephraim Kishon (1924–2005). Wer klaut die Briefmarken Vor etwa einer Woche fiel mir auf, dass ich keine Briefe mehr bekam. Zuerst glaubte ich, wir hätten einen neuen Postboten bekommen, der sich noch nicht richtig auskennt. Doch gestern entdeckte ich zufällig die wahre Ursache. Als ich morgens das Haus verließ, erwischte ich den Sohn der Familie Ziegler, die im Nachbarhaus wohnt, als er gerade aus meinem Briefkasten die Briefe herausangelte. Als er mich sah, ergriff er schnellstens die Flucht. Wutschnaubend ging ich zu Herrn Ziegler, der auf der Schwelle seines Hauses stand. „Was ist denn los?“, fragte er. „Herr Ziegler“, tobte ich los, „Ihr Sohn stiehlt meine Briefe.“ „Er stiehlt keine Briefe, er sammelt nur Briefmarken“, antwortete mir der stolze Vater. „Wie bitte?“ „Hören Sie“, begann Herr Ziegler. „Ich lebe seit Jahren in diesem Land und habe einiges geleistet. Ich spreche aus Erfahrung. Heutzutage lohnt es sich gar nicht mehr, Briefe zu bekommen.“ „Und wenn einmal ein wichtiger Brief dabei ist?“ „Wichtig? Glauben Sie mir, nichts ist wichtig. Was die lieben Ver- wandten schreiben, interessiert Sie sowieso nicht. Und die amtlichen Briefe, die in Ihrem Briefkasten landen, sind meistens unerfreulich. Entweder es sind Strafzettel oder Steuerbescheide oder Mahnungen.“ „Wichtig oder nicht, ich will die Briefe lesen, die an mich geschickt werden!“ „Nun ja, wenn Sie das nicht einsehen wollen“, antwortete Herr Ziegler gereizt, „so werde ich mit meinem Sohn reden.“ „Vielen herzlichen Dank. Vielleicht darf ich Ihrem Sohn den Schlüssel zu meinem Briefkasten geben?“ „Aber nein“, winkte Herr Ziegler ab, „es ist besser, wenn er lernt, wie mühsam es ist, Briefmarken zu sammeln.“ Seit dieser Zeit machen meine Briefe immer einen kleinen Umweg. Auch erhalte ich nicht die ganze Post. Aber unterdessen habe ich mich daran gewöhnt. Ich habe alle meine ausländischen Freunde gebeten, besonders schöne Marken auf ihre Briefe zu kleben. Dann ist die Möglichkeit, dass ich sie wirklich erhalte, um einiges größer. Meine einzige Hoffnung besteht darin, dass Ziegler junior bald keine Lust mehr hat, Briefmarken zu sammeln. Aus: Ephraim Kishon: Alle Satiren. Langen Müller Verlag, München 1999. Lies die Aussagen zur Kurzgeschichte aus Übung 7. Kreuze dann die richtigen Antworten an. 1 Der Erzähler bekommt keine Briefe mehr, weil der Briefträger neu ist. 2 Der Nachbarssohn nimmt die Briefe, weil er Briefmarken sammelt. 3 Herr Ziegler ist sehr wütend darüber, dass sein Sohn die Briefe stiehlt. 4 Herr Ziegler denkt, dass in Briefen nichts Wichtiges steht. 5 Herr Ziegler bringt seinen Sohn dazu, dem Nachbarn die Briefe zu geben. 6 Herr Zieglers Sohn bekommt den Briefkastenschlüssel des Nachbarn. 7 Der Erzähler glaubt, dass er die Briefe eher bekommt, wenn schöne Briefmarken auf den Kuverts sind. 7 nach Ü16 5 10 15 20 8 nach Ü16 der Steuerbescheid, die Steuerbescheide: amtliches Schreiben über die Höhe der Steuern, die man zahlen muss die Mahnung, die Mahnungen: Erinnerung, dass man eine Rechnung nicht bezahlt hat Ziegler junior: Sohn von Herrn Ziegler die Ursache, die Ursachen: der Grund auf der Schwelle: in der Tür 30  3 Inhaltsangabe und Interpretation Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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