Vielfach Deutsch 3, Schülerbuch

Lies die folgende Sage von Wilhelm Ruland. Der Schelm von Bergen Krönungsfeier in Frankfurt. Großen Mummenschanz hatte man im Rathaus veranstaltet zu Ehren des Kaisers; Frauen und Fürsten wetteiferten im festlichen Schmuck. Nur einer unter den zahlreichen Gästen el auf durch seinen ernsten Sinn und seine gemessene Würde. Niemand kannte ihn. Nun nahte er mit edlem Anstand der Kaiserin, beugte das Knie und bat um einen Tanz. Und die hohe Frau, bezwungen von so viel Hoheit, reichte ihm ihre Hand. In zierlichem Tanz schwebte er dahin mit der Königin des Festes, und wiederum ging ein Raunen durch den Kreis der Fürsten und Frauen –, hier mehr als dort –, wer er sei, der schwarze Ritter. Die Herrscherin war entzückt von dem gewandten Tänzer sowie der Anmut seiner Unterhaltung und gewährte ihm einen zweiten und dritten Tanz. Stärker wuchs die Neugier um den vermummten Ritter. Unterdes schlug die Stunde, wo jeder verpŠichtet war, die Maske zu lü‹en. Mehr als alle anderen drängte es die Kaiserin, ihren Tänzer kennen zu lernen. Er aber zauderte, sträubte sich sogar, bis sie ihm schmollend befahl, sein Gesicht zu zeigen. Gehorsam, doch unfroh tat es der Kavalier; niemand aber kannte ihn. Da drängten sich zwei Hauptleute vor, sie erkannten den geheimnisvollen Tänzer, und ein einstimmiger Schrei, Ent- rüstung und Entsetzen zugleich, brach aus der dicht gedrängten Menge. „Der Schelm von Bergen!“ Mit dem Wort „Schelm“ bezeichnete man damals einen Henker und ein solcher wurde von allen verachtet. Zornglühend befahl der Kaiser, den schamlosen Frevler, der die Kaiserin entwürdigt und die Krone beschimp‹ hatte, der schwersten Strafe zu überliefern. Da warf sich jener vor dem Herrscher auf die Knie und hob unverzagt das Haupt. „Ich habe gefrevelt, Herr“, sprach er frei und kühn, „an dir und deiner erlauchten Gemahlin. Den Schimpf, den ich ihr angetan, wäscht nicht mein Blut ab. Darum, Kaiser, höre von deinem Knecht das Mittel, womit jene Schmach getilgt werde: Gib mir den Ritterschlag, und die Schmach ist gelöscht. Ich aber werfe jedem den Handschuh hin, der es wagt, jemals unehrerbietig von meiner Herrin zu sprechen.“ Sinnend stand der Kaiser. „Du bist ein Schelm“, sprach er nach einer Weile, „aber deine Rede zeugt von Klugheit, wie dein Vergehen von Mut. Wohlan“ –, und sein Schwert berührte den Nacken des Knienden –, „erhebe dich als Ritter. Ein Schelmenstück war deine Tat; Schelm von Bergen sei dein kün‹iger Name.“ Fast achthundert Jahre lässt das uralte Geschlecht sich dann verfolgen. Im Jahre 1844 starb auf seiner Besitzung in der Wetterau der letzte Schelm von Bergen. Viele andere Schelme aber leben noch. http://gutenberg.spiegel.de/buch/rheinische-sagen-kleine-ausgabe-4211/4 (9. 5. 2017, bearbeitet) Ergänze die beiden Sätze, die das Hauptthema der Sage (Ü2) wiedergeben. 1 In dieser Sage geht es um der Kaiserin, die durch den Tanz mit dem Henker verletzt wurde. 2 In der Sage geht es um eines Henkers, der dadurch ein wurde. Ü2 der Schelm: Spaßvogel; auch: Betrüger der Schelmenstreich: listiger Streich 5 10 15 20 25 30 den Handschuh hinwerfen: den Kampf ansagen Ü3 Sagen lesen und das Hauptthema erkennen Sage und Ballade haben vieles gemeinsam: Beide erzählen von ungewöhnlichen, oft auch fantastischen Ereignissen, die fast immer in der Vergangenheit spielen. 103 Sagen und Balladen wiedergeben Sprachbewusstsein Zuhören / Sprechen Schreiben 5 Lesen

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