Mathematik verstehen 7, Schulbuch

249 12 . 7 historisches zu den zahlBereichen Komplexe zahlen Im 16. Jahrhundert tauchten Wurzeln aus negativen Zahlen auf. cardano (1501 –1576) stellte die Aufgabe, die Zahl 10 in zwei Summanden zu zerlegen, deren Produkt 30 ist (vgl. Seite 232). Die Aufgabe führt auf eine quadratische Gleichung und die formale Anwendung der Lösungsformel für solche Gleichungen liefert die Ausdrücke 5 + ​ 9__ – 5​und 5 – ​ 9__ – 5​. Cardano konnte diesen Ausdrücken keinen Sinn beilegen und nannte sie „sophistische“ Ausdrücke. Die obige Aufgabenstellung konnte man noch als unsinnig bezeichnen. Cardano bemerkte jedoch, dass man mit den Wurzeln aus negativen Zahlen auch ernsthaftere Probleme lösen kann. Er verwendete eine Formel zur Lösung von kubischen Gleichungen der Form x3 + px + q = 0 (siehe Seite 237). Dabei können in bestimmten Fällen während der Rechnung Wurzeln aus negativen Zahlen auftreten, während sich im Endresultat durchaus reelle Lösungen der Gleichung ergeben. Ähnlich wie bei den negativen Zahlen begann man die Wurzeln aus negativen Zahlen als nützliche Zwischenglieder beim Gleichungsrechnen zu akzeptieren, nicht jedoch als Endresultate. Die Frage, ob sie Zahlen darstellen, wurde kaum gestellt. Da man mit Wurzeln aus negativen Zahlen jedoch rechnen kann, insbesondere Gleichungen lösen und damit verschiedene Anwendungsprobleme bewältigen kann, lag eine Reparatur des bisher vertretenen Zahlbegriffs in der Luft. Bombelli (1526–1572) versuchte die Situation durch Einführung eines erweiterten vorzeichenbegriffs zu retten. Er fügte den vorzeichen „plus“ (piu) und „minus“ (meno) noch zwei weitere vorzeichen hinzu, die in heutiger Notation + i (piu di meno) und – i (meno di meno) entsprechen. Für diese vorzeichen formulierte er vorzeichenregeln: Piu uia piu fa piu + mal + gibt + Piu uia meno fa meno + mal – gibt – Piu uia piu di meno fa meno di meno + mal + i gibt + i Meno uia piu di meno fa meno di meno – mal + i gibt – i usw. Die große Anzahl an vorzeichenregeln (insgesamt 16), die man sich hier merken müsste, war wahrscheinlich der Hauptgrund, warum sich dieser vorschlag nicht durchsetzte. Die komplexen Zahlen entsprachen nicht dem Stevinschen Zahlbegriff. Sie konnten nämlich nicht als „Quantitäten“ gedeutet werden, da es nicht gelang, für sie eine Ordnung (Kleinerrelation) zu definieren. Deshalb war nur eine bedingte Anerkennung der komplexen Zahlen in der Theorie möglich, die sich ähnlich wie bei den negativen und irrationalen Zahlen darin äußerte, dass man die komplexen Zahlen zwar als Zahlen akzeptierte, aber als „sophistische“, „unmögliche“, „falsche“, „eingebildete“, „imaginäre“ Zahlen uÄ bezeichnete. Die fortschreitende Anerkennung der komplexen Zahlen wurde in der Folgezeit aus drei Quellen gespeist: die Möglichkeit des Rechnens, die vereinfachung der Theorie und des Lösens algebraischer Gleichungen sowie die anschauliche Darstellung in der Gauß’schen Zahlenebene. Die endgültige Anerkennung der komplexen Zahlen in der allgemein vertretenen Theorie war jedoch wie bei den negativen Zahlen erst im 19. Jahrhundert möglich, nachdem der Stevinsche Zahlbegriff durch den axiomatischen Zahlbegriff abgelöst wurde. Damit war die Erweiterung der reellen Zahlen zu den komplexen Zahlen vollzogen. Die Ausdrücke „sophistisch“, „unmöglich“ usw. verschwanden wieder. Das Wort „imaginär“ behielt nur mehr eine technische Bedeutung bei. gerolamo cardano (1501 –1576) Nur zu Prüfzwecken – Eigentum d s Verlags öbv

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