241 12 . 5 Konstrukt ion der kompleXen zahlen aus den reellen zahlen Was bedeutet „existenz“ in der Mathematik? Wir können mit einiger Sicherheit annehmen, dass dieses Buch, unsere Schule, die Erde usw. existieren. All dies können wir sehen, greifen, mit den Sinnen erfassen. Aber gibt es die reellen Zahlen? Gibt es den genauen Wert von 9_ 2? Was bedeutet überhaupt „es gibt“ in der Mathematik? Die Gegenstände der Mathematik sind nicht sinnlich erfassbar, sie existieren nur in unserem Denken. Dies gilt etwa für Objekte der Geometrie oder der Arithmetik. In der sinnlich wahrnehmbaren Umwelt gibt es keine Punkte oder Geraden, bestenfalls Annäherungen dafür. Ebenso gibt es in der sinnlich wahrnehmbaren Welt keine natürlichen Zahlen, obwohl diese zum Zählen oder vergleichen verwendet werden können. Dabei ist auch gar nicht sicher, ob wirklich jeder natürlichen Zahl eine Gegebenheit in der Natur entspricht, etwa wenn eine natürliche Zahl größer ist als die Anzahl aller Elementarteilchen im Weltall. Die Gegenstände der Mathematik sind also Denkobjekte. Klarerweise wird nicht alles, was man denken kann, automatisch zu den Gegenständen der Mathematik gerechnet. In früheren Zeiten war es – wie die komplexen Zahlen zeigen – zur Anerkennung der Existenz mathematischer Objekte wichtig, dass eine anschauliche Darstellung für diese Objekte gefunden wurde. In der heutigen Mathematik gibt es viele Objekte, die nicht anschaulich dargestellt werden können, sodass diese Forderung nicht mehr erhoben wird. In der Mathematik darf man vielmehr alle Objekte als existent annehmen, mit denen man ohne Widersprüche umgehen kann. Kurz gefasst: Existenz bedeutet Widerspruchsfreiheit. Bislang sind in Zusammenhang mit reellen Zahlen und komplexen Zahlen keine Widersprüche aufgetaucht, weshalb man diese Zahlen bis auf Weiteres als existent annehmen darf. Es gibt jedoch Mathematikerinnen und Mathematiker, die „Existenz“ nicht bloß auf „Widerspruchsfreiheit“ reduzieren wollen, sondern weitere Forderungen an die Existenz mathematischer Objekte stellen. vielfach wird verlangt, dass die betreffenden Denkobjekte für die Mathematik nützlich sein sollen, zum Beispiel für den Aufbau einer Theorie oder Anwendungen in der Praxis. Die komplexen Zahlen haben sich in vielen innermathematischen Gebieten als nützlich erwiesen (zum Beispiel in der Funktionentheorie, der Zahlentheorie, der Algebra oder der Geometrie), aber auch in vielen außermathematischen Anwendungsgebieten (zum Beispiel in der Schwingungslehre, der Elektrotechnik, der Strömungslehre oder der Computertechnik). viele Fragen bleiben jedoch offen (zum Beispiel wie die Widerspruchsfreiheit stichhaltig begründet werden kann). Was „Existenz“ in der Mathematik bedeutet, ist also letztlich eine nicht vollständig beantwortete Frage und wird es wohl auch immer bleiben. aufgaBen 12 . 32 Berechne mit Hilfe der Formeln für die Addition und Multiplikation von reellen Zahlenpaaren und überprüfe das Ergebnis mit Hilfe der bisher üblichen Schreibweise für komplexe Zahlen: a) (3 1 – 2) + (4 1 6) c) (1 1 1) · (5 1 – 2) e) (u 1 v) + (–u 1 – v) g) (1 1 2) + (2 1 –1) · (3 1 4) b) (8 1 7) + (– 3 1 –1) d) (3 1 – 5) · (2 1 2) f) (u 1 v) · (u 1 – v) h) (3 1 3) + (6 1 3) · (– 5 1 1) 12 . 33 Stelle eine Formel für a) die Subtraktion (a 1 b) – (c 1 d), b) die Division (a 1 b) : (c 1 d) reeller Zahlenpaare auf! L L Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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