240 12 KompleXe zahlen 12 . 5 Konstruktion der kompleXen zahlen aus den reellen zahlen Komplexe zahlen als zahlenpaare mit reellen Koordinaten Bei der Einführung neuer Denkobjekte geht die Mathematik häufig in zwei Schritten vor. Im ersten Schritt werden die betreffenden Objekte möglichst genau beschrieben. Im zweiten Schritt werden die Objekte mit den Beschreibungen identifiziert. So ist es auch bei den komplexen Zahlen geschehen. Zunächst wurden die komplexen Zahlen durch Paare reeller Zahlen beschrieben. In einem zweiten Schritt wurden sie mit diesen Paaren identifiziert. Dieser Schritt geht auf William rowan hamilton (1805–1865) zurück. Nach seiner Auffassung kann eine komplexe Zahl a + bi nicht nur durch das Zahlenpaar (a 1 b) beschrieben werden, sondern die komplexe Zahl a + bi ist das Zahlenpaar (a 1 b). Demgemäß ist die Menge C der komplexen Zahlen mit der Menge R2 der reellen Zahlenpaare identisch, wenn man in R2 eine Addition und eine Multiplikation auf folgende Art definiert: Definition: (a 1 b) + (c 1 d) = (a + c 1 b + d), (a 1 b) · (c 1 d) = (ac – bd 1 ad + bc) mit a, b, c, d * R Diese Multiplikation stimmt nicht mit der uns bekannten skalaren Multiplikation von vektoren in ℝ 2überein und erscheint auf den ersten Blick ziemlich willkürlich, aber wir wissen ja bereits, dass sie dem Rechnen mit komplexen Zahlen in der Form a + bi entspricht. Den Zusammenhang zwischen der Schreibweise a + bi und (a 1 b) für komplexe Zahlen kann man herstellen, wenn man eine reelle Zahl a mit dem Zahlenpaar (a 1 0) und i mit dem Zahlenpaar (0 1 1) identifiziert. Dann gilt nämlich: i2 = i · i = (0 1 1) · (0 1 1) = (0 · 0 – 1 · 1 1 0 · 1 + 1 · 0) = (–1 1 0) = –1 a + bi = (a 1 0) + (b 1 0) · (0 1 1) = (a 1 0) + (b · 0 – 0 · 1 1 b · 1 + 0 · 0) = (a 1 0) + (0 1 b) = (a 1 b) Fasst man die komplexen Zahlen als Paare reeller Zahlen auf, so ist an ihnen nichts mehr „mysteriös“. Gibt es reelle Zahlen, dann auch Paare von reellen Zahlen und somit auch komplexe Zahlen. Warum haben wir die komplexen Zahlen nicht gleich als Zahlenpaare eingeführt? Der Grund hiefür liegt darin, dass wir dem historischen Weg gefolgt sind. Der historische Ausgangspunkt für die Beschäftigung mit komplexen Zahlen war die Frage, ob es Wurzeln aus negativen Zahlen gibt. Dies führte auf Ausdrücke der Form a + b · i. Dabei hat zunächst niemand an Zahlenpaare gedacht. Ein Aufbau der komplexen Zahlen mittels Zahlenpaaren wäre damals auch kaum möglich gewesen, weil wohl niemand auf die obige Definition der Multiplikation von Zahlenpaaren gekommen wäre, wenn er nicht schon vorher mit komplexen Zahlen der Form a + b · i gerechnet hätte. Heute wären Ausdrücke der Form a + b · i, insbesondere der Buchstabe i, nicht mehr unbedingt notwendig, da man sie durch Zahlenpaare ersetzen könnte. Man verwendet diese Ausdrücke jedoch nach wie vor, weil man mit ihnen nach vertrauten Rechengesetzen rechnen und die etwas umständliche Zahlenpaarschreibweise vermeiden kann. Zudem braucht man sich die komplizierte Formel für die Multiplikation von Zahlenpaaren nicht zu merken. L William rowan hamilton (1805 – 1865) Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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