Mathematik verstehen 6, Schulbuch

204 11 vektoren in R n 11 . 2 zum sinn von vektoren Wenn man konkrete Rechnungen mit vektoren ausführt, zum Beispiel Preisvektoren in ​ ℝ ​ 150 ​ addiert, muss man die Rechnungen für jede Koordinate einzeln ausführen. Man erspart sich also keine Rechenarbeit. Worin liegt dann der Sinn von vektoren? Das Wesentliche eines vektors in ​ ℝ ​ n ​besteht darin, dass man n reelle Zahlen zu einem neuen Denkobjekt zusammenfassen und dieses neue Denkobjekt mit einem einzigen Buchstaben benennen kann. Dies bietet ua. zwei vorteile: ƒƒ Man kann rechenanweisungen für vektoren (vektorterme) einfach und übersichtlich anschreiben , ohne alle Einzelschritte angeben zu müssen. Zum Beispiel kann man in vielen Programmiersprachen die Rechenanweisung A + 2 · (B + C) formulieren, ohne die Rechenanweisungen für die einzelnen Koordinaten angeben zu müssen. Diese Rechenanweisung für vektoren wird dann automatisch koordinatenweise ausgeführt. ƒƒ Man kann Beziehungen zwischen vektoren (vektorgleichungen) einfach und übersichtlich anschreiben , ohne alle Einzelbeziehungen angeben zu müssen. Damit können Formeln von ℝ auf ​ ℝ ​ n ​übertragen werden. Ist zum Beispiel der Bruttopreis b einer Ware um 20% höher als der Nettopreis, dann gilt in ℝ die Formel: b = 1,2 · a Will man diese Formel auf n Waren übertragen, kann man schreiben: ​b​ 1 ​= 1,2 · ​a​ 1 ​, ​b​ 2 ​= 1,2 · ​a​ 2 ​, …, ​b​ n ​= 1,2 · ​a​ n ​ Einfacher und übersichtlicher ist es aber, einen Bruttopreisvektor B = (b​ ​ 1 ​ 1 ​ b​ 2 ​ 1 … 1 ​b​ n ​) und einen Nettopreisvektor A = (a​ ​ 1 ​ 1 ​ a​ 2 ​ 1 … 1 ​a​ n ​) einzuführen und zu schreiben: B = 1,2 · A Aus diesen Bemerkungen geht hervor, dass vektoren ihre vorteile eher dann entfalten, wenn sie als Beschreibungsmittel und weniger als rechenmittel eingesetzt werden. Ihr Nutzen liegt eher in der kurzen und übersichtlichen Beschreibung von Sachverhalten als in den oft mühsamen konkreten (koordinatenweisen) Berechnungen. Allgemein ist es ein für die Mathematik typisches vorgehen, für komplexe Objekte einfache Symbole einzuführen und beim Umgehen mit diesen Symbolen (zumindest vorübergehend) die Details der dahinter stehenden Objekte außer Acht zu lassen. Wir haben das bisher schon öfter gemacht, ohne dass es uns sonderlich aufgefallen wäre. Zum Beispiel haben wir Mengen mit einzelnen Großbuchstaben bezeichnet und etwa C = A ° B geschrieben, ohne die Elemente der Mengen A, B und C im Detail aufzuzählen. Durch ein derartiges Zusammenfassen von Objekten zu neuen Objekten (zB von Zahlen zu Mengen oder von Zahlen zu vektoren), durch kurze Bezeichnungen für die neuen Objekte und das (zumindest vorübergehende) vergessen von Details der neuen Objekte werden die neuen Denkobjekte zu neuen Bausteinen des Denkens und ermöglichen die Bildung einer Theorie auf einer übergeordneten Stufe (wie Mengenlehre oder vektorrechnung auf der Basis von Zahlen). Da ein solches vorgehen mehrfach angewandt werden kann, weist das Gesamtgebäude der Mathematik einen Stufenbau von Theorien auf. Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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